Marter: Thriller (German Edition)
steckte, und betrachtete die Seiten.
»Hier finden sich in erster Linie Datumsangaben und allem Anschein nach Gesprächsnotizen«, sagte er nach einer Minute. »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, das alles hat mit der Operation Sturm zu tun.«
»Das deckt sich mit meinen Kenntnissen, Sir. Doch warum sollte die US -Armee Unterlagen zu dieser Operation in ihrem Archiv haben? Soweit ich weiß, waren die USA nicht in diesen Konflikt verwickelt.«
Lächelnd sah er sie über den Rand seiner Brille an. »Wie lautet Ihr Name, Second Lieutenant?«
»Boland, Sir. Holly Boland.«
Er starrte sie ungläubig an. »Doch nicht etwa Ted Bolands Tochter? Die kleine Holly, die immer diese italienischen Kekse zu den Barbecues mitgebracht hat?«
»Jawohl, Sir«, bestätigte sie.
»Na so was! Ihr Vater und ich, wir sind uns natürlich nicht allzu oft begegnet – er war unten in Pisa stationiert und ich hier oben in Venedig, obwohl ich meine Befehle direkt aus Langley erhielt.« Sie nickte angesichts dieses verschleierten Hinweises darauf, dass er der CIA angehört hatte. »Aber ich habe Sie auf jeden Fall ein paarmal auf dem Arm gehabt und Sie herumgewirbelt, damals, als ich noch zu solchen Dingen fähig war.« Er lächelte schwermütig. »Aber Sie sind sicher nicht hier, um sich die Jugenderinnerungen eines alten Mannes anzuhören.«
»Im Gegenteil, Sir. Ich würde mich geehrt fühlen, von Ihren Erinnerungen an meinen Vater zu hören.«
»Nun, vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt.« Damit widmete er sich wieder den Dokumenten. »Dürfte ich wohl fragen, wonach Sie genau suchen?«
»Tja, das ist es ja gerade – ich bin mir nicht ganz sicher. Ich habe eine Anfrage im Zuge des Freedom-of-Information-Act erhalten. Hat mit einem Mann namens Dragan Korovik zu tun.«
»Und wer ist das im normalen Leben?«
»Er ist, oder vielmehr war, ein General der kroatischen Armee. Und ein normales Leben führt er im Moment garantiert nicht. Er wartet in diesem Augenblick auf seinen Prozess wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Operation Sturm.«
Gilroy zog beide Augenbrauen hoch. »Tja, das ist gewiss ein höchst interessantes Mysterium. Und ich muss zugeben, derlei Dinge habe ich ziemlich vermisst seit meiner Pensionierung. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich die hier mitnehme und versuche, sie zu enträtseln?«
»Aber bitte, Sir, sicher.« Während sie die Dokumente zusammenfaltete, fügte sie noch hinzu: »Das sind nur Kopien.«
»Sie sind also keine Verschlusssache?«
»Scheint nicht so, nein.«
»Gut. Ob sich hier drinnen nun was Hilfreiches findet oder nicht …« Er tippte auf die gefalteten Seiten. »Ich würde Sie auf jeden Fall gern einmal zum Essen ausführen. Waren Sie schon oft in Venedig?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin erst seit gestern hier.«
»Dann besuchen wir ein echt venezianisches Restaurant, und Sie können mich über alles aufklären. Geht selbstverständlich auf mich.« Er legte eine kurze Pause ein, ehe er fortfuhr: »Ich bin durchaus auf dem Laufenden und erfahre oft Neues, von Freunden daheim in den Staaten. Ich habe gehört, dass es Ihrem Vater nicht unbedingt besser geht. Tut mir sehr leid.«
»Danke, Sir«, sagte sie. Aus irgendeinem Grund aber war das Mitleid dieses alten Soldaten beinahe schwerer zu ertragen als die regelmäßigen Nachrichten von ihrer eigenen Familie. Sie schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »Ich bin mir sicher, er wäre glücklich zu wissen, dass so viele Menschen an ihn denken.«
»Derlei Dinge sorgen dafür, dass man das Leben aus einer ganz neuen Perspektive sieht, nicht wahr?« Er tippte auf die Papiere, die sie ihm ausgehändigt hatte. »Wie dem auch sei, ich würde mich geehrt fühlen, Ihnen bei dieser Geschichte behilflich sein zu können, Second Lieutenant.«
13
Unausgeschlafen fuhr Kat in Richtung Verona zu ihrem Neun-Uhr-Treffen mit Pater Uriel. Sie verfuhr sich einige Male, ehe sie das Institut Christina Mirabilis endlich fand, das sich einsam an die Weinhänge schmiegte. Dem uralten Gestein des Gebäudes nach zu urteilen und anhand der Buntglasfenster musste es einst ein Kloster für Nonnen oder Mönche gewesen sein. In der Gegend zwischen Venedig und Verona gab es viele solche Einrichtungen, von denen die meisten aus dem sechzehnten oder siebzehnten Jahrhundert stammten, als La Serenissima , wie Venedig auch genannt wurde – also die friedlichste Stadt –, einen sicheren Hafen bot für all
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