Marter: Thriller (German Edition)
keinerlei Zusammenhang sehen will.« Sie fragte ihn nicht, woher er diese Informationen hatte, und sie wies ihn auch nicht darauf hin, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte. »Der Punkt ist folgender: Sie sind nicht verpflichtet, mit diesem Wissen etwas anzufangen, geschweige denn, noch weiter nachzuforschen. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung, will ich damit sagen.«
»Hinter der NATO stecken im Grunde genommen die USA «, sagte sie langsam. »Wenn ich versuchen würde, dem weiter nachzugehen, dann würde ich doch nach Beweisen gegen meine eigenen Leute suchen. Dann wäre ich ja ein … ein Whistleblower , ein Nestbeschmutzer.«
Mit einem Nicken gab er ihr in diesem Punkt recht. »Andererseits wüsste ich genau, an wen Sie sich wenden könnten mit dem, was auch immer Sie finden würden. Wir könnten das alles intern regeln.«
»Wir? Würden Sie mir etwa helfen?«
»Selbstverständlich. Das bin ich Ihrem Vater in jedem Fall schuldig.«
Sie brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, was er da eben gesagt hatte. »Meinem Vater? Was hat das Ganze denn mit ihm zu tun?«
Er sah ihr direkt in die Augen. »Zu der damaligen Zeit war Ted Boland einer von denen, die Bedenken äußerten über das, was wir heute als Gladio kennen. Er wollte sie seinen Vorgesetzten melden. Verdammt, er hat sie sogar mir gegenüber einmal erwähnt. Da ich es damals nicht besser wusste, versicherte ich ihm, dass es keinen Grund zur Besorgnis gebe. Doch da war er bereits als Störenfried abgestempelt. Er behielt zwar seinen Posten, doch ich habe so das Gefühl, dass es ihm die restliche Zeit im Camp Darby ziemlich verdorben hat.«
»Das war mir gar nicht klar«, sagte sie nachdenklich. Doch es passte alles zusammen. In diesen letzten Tagen war da immer ein nicht greifbares Gefühl des Versagens gewesen, sie hatte stets den Eindruck, als hätte er etwas zu verbergen. Und dann hatte er zu trinken begonnen, und kurze Zeit später hatte er den ersten seiner Schlaganfälle erlitten.
»Wenn ich der Sache nun tatsächlich nachgehen wollte«, fuhr sie fort, »wie würde ich dann wohl vorgehen?«
»Halten Sie sich einfach an die Hinweise. Ich vermute, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit eine relativ kleine Gruppe von Leuten war, die auf eigene Faust politische Entscheidungen trafen. Sie hätten den üblichen Kommunikationskanälen nicht vertraut – sicherlich hat es persönliche Treffen gegeben wie das, von dem Sie ja bereits wissen. Und das bedeutet wiederum, dass es auch Beweise geben muss.«
»Mr. Gilroy, Sir – Ian –, darüber muss ich erst mal nachdenken.«
»Selbstverständlich. Das ist eine schwerwiegende Entscheidung.« Er machte eine kurze Pause. »Ich sollte Sie vielleicht warnen, dass es schon ein Weilchen her ist, seit ich aktiv einen Einsatz geleitet habe, Holly. Doch werde ich Ihnen alles zur Verfügung stellen, was ich als alter Hase im Spionagegeschäft an Fachwissen und Ratschlägen zur Verfügung stellen kann.«
23
Sie konnte noch nicht zu Bett gehen. Viel zu aufgewühlt war sie durch ihr Gespräch mit Ian Gilroy, viel zu durcheinander aufgrund der Tragweite dessen, was er gesagt hatte. Es war bereits nach Mitternacht gewesen, als sie auf den Stützpunkt zurückgekehrt war, doch dann hörte sie aus der Ferne das Stampfen der Rockmusik aus Joe Dugan’s Bar.
Als »überragend« hatte Private Billy Lewtas sie bezeichnet.
Es war Samstagabend, also ging sie in Richtung der Musik.
Billy Lewtas hatte nicht übertrieben: das Joe Dugan’s war in der Tat eine ziemlich coole Bar – wenn man sich unter einer guten Bar eine schwach beleuchtete Kaschemme irgendwo im Hinterland von Texas vorstellte, voll mit muskulösen Männern und die Musik derart laut, dass man den Bass in der Brust und im Unterleib spürte, als wäre da ein zweiter Herzschlag.
In ihrem Wollkleid von Stefanel, das sie immer noch trug, war sie ein klein wenig overdressed für diese Absteige, doch war es immer noch besser als die Armeeuniform. Sie schrieb Billy eine SMS , weil sie wissen wollte, ob er zufällig hier war.
Das war er tatsächlich. Binnen wenigen Minuten hatte sie ein Bier in der Hand und war umringt von einer Gruppe interessiert wirkender Männer. Hier kamen auf eine Frau zahlenmäßig mindestens drei Männer. Doch das war eine Sache, an die man sich früher oder später gewöhnte, wenn man bei der Army war. Da sie aus einer Familie stammte, in der sie neben drei Brüdern das einzige Mädchen war, fragte sie sich immer wieder, ob das der
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