Marter: Thriller (German Edition)
erkundigte sie sich. Sie legte die Kopie vor der Prostituierten auf den Tisch.
»Die, nein«, meinte Spira und deutete auf die Symbole, die Pater Uriel bereits identifiziert hatte. Dann wanderte ihr Finger zu denjenigen, die den Tätowierungen auf dem Körper von Jelena Babi ć glichen. »Aber die hier sind Ustaša .«
»Kroatisch? Sind Sie sicher?«
Spira nickte. »Die alten Frauen tragen sie. Ist was Katholisches. Sieht man nicht mehr so oft heute.«
Kat und Piola wechselten einen Blick.
»Danke, Spira«, erklärte Piola und stand auf. »Sie waren uns eine große Hilfe. Ich begleite Sie noch vor die Tür.«
Bis er wieder zurückkam, hatte Kat bereits eine Bildersuche auf Google gestartet. Mithilfe der Schlagwörter »Kroatisch«, »Katholisch« und »Tätowierung« war sie auf Fotos gestoßen, die bestätigten, was die Prostituierte ihnen erzählt hatte.
»Sehen Sie«, sie drehte ihren Bildschirm herum, um Piola die Bilder zu zeigen. »Sie werden als ste ć ak -Symbole bezeichnet. Aus diesem Artikel hier geht hervor, dass die Katholiken in Bosnien ihre Kinder früher mit diesen Zeichen tätowierten, in der Hoffnung, die Türken würden sie nicht als Sklaven verschleppen – wenn sie nämlich christliche Symbole auf der Haut trugen, konnte man sie nicht dazu zwingen, zum Islam zu konvertieren. Nach dem Niedergang des Osmanischen Reiches behielt man die Tätowierungen als Symbol der Untergrundkirche in Kroatien bei.«
»Interessant«, meinte er. »Ich frage mich, was das zu bedeuten hat.«
Doch das wusste sie längst. Ein unheimliches Glücksgefühl durchflutete sie, als plötzlich alles einen Sinn ergab.
»Der Grund, weshalb diese Symbole hier sich anders als die anderen unterhalb der Blutspritzer fanden, ist der, dass Jelena Babi ć sie eigenhändig an die Wand gemalt hatte, ehe sie die Messe las. Es handelt sich um Symbole ihres Glaubens. Der Mörder konnte sie nicht verschwinden lassen, und ihm war klar, dass wir durch sie der Wahrheit auf die Spur kommen würden. Daher ergänzte er das Ganze mit seinen eigenen Entwürfen, um uns auf eine falsche Fährte zu locken. Jelena war keine Satanistin. Sie stand, oder zumindest war sie der Ansicht, auf der richtigen Seite – als Frau, Kroatin und katholische Priesterin.« Sie schüttelte den Kopf. »Fast hätte man uns damit tatsächlich in die Irre geleitet. Ich bin davon ausgegangen, dass Barbara Holtons Kontakt zu den Amerikanern im Camp Ederle nichts mit ihrem Tod zu tun hatte, da es keinerlei Verbindung zu Priestern oder dem Okkulten gab. Doch stattdessen gab es eine Verbindung zu Kroatien. Sie hatte Informationen einholen wollen zu einem kroatischen General namens Dragan Korovik, der wegen diverser Kriegsverbrechen gerade kurz vor seinem Prozess in Den Haag steht. Wenn das US -Militär der Ansicht war, er könnte etwas preisgeben, was man lieber vertuschen wollte, dann würde das erklären, warum sie alles geben, um die Spuren zu verwischen.«
»Aber warum war Jelena Babi ć überhaupt auf Poveglia?«, sinnierte Piola. »Warum sollte sie dort eine Messe gelesen haben? Warum hat der Mörder Barbara Holton umgebracht, obwohl sie die erhofften Informationen noch nicht einmal erhalten hatte? Und wenn man der Offizierin glauben will, mit der Sie gesprochen haben, dann hatte sie ja wohl auch kaum eine Hoffnung darauf, sie je zu bekommen. Dieser Fall wirft mehr Fragen auf, als er uns Antworten liefert, Capitano.«
»Ich bin der Ansicht, wir sollten uns an die Amerikaner in der Caserma Ederle halten. Wir müssen in Erfahrung bringen, wie genau die Antworten auf Barbara Holtons Fragen gelautet hätten.«
»In Ordnung.« Piola erhob sich. »In diesem Fall aber wird das Ganze politische Auswirkungen haben. Daher sprechen wir besser erst mit unserem Staatsanwalt.«
»Ist uns denn schon einer zugeteilt worden?«
»Seit letztem Freitag. Benito Marcello. Kennen Sie ihn?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht. Kommen Sie morgen früh um acht zum Gericht, dann werden wir sehen, ob er einverstanden ist.«
Er holte seinen Mantel hinter der Tür hervor – Armani, wie ihr nicht entging, leichtes Material, dunkelblaues Kaschmir. »Und jetzt ist es an der Zeit, dass wir von hier verschwinden«, fügte er überflüssigerweise noch hinzu. »Kommen Sie mit?«
Es folgte eine kurze Pause. Sie ertappte sich selbst dabei, wie sie hoffte, er würde noch einen gemeinsamen Drink vorschlagen und vielleicht auch was zu essen, ehe sie sich in ihre jeweiligen Wohnungen
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