Marter: Thriller (German Edition)
Flasche Wein und zwei Plastikbechern zurück. Die stellte er auf den Tisch, und die Frau berührte ihn an der Schulter und sagte etwas zu ihm. Er quittierte ihre Worte mit einem Lächeln. Auch wenn Kat nicht gleich voreilige Schlüsse ziehen wollte, gab es keinen Zweifel an den Absichten der Frau, als sie ihm ihre Brüste entgegenreckte.
Genau in diesem Moment blickte er auf und entdeckte Kat. Er bedeutete ihr mit einem Winken, sich zu ihnen zu gesellen.
»Das hier ist Spira«, erklärte er, als sie den Raum betrat. »Schien mir ein guter Tag, um sie zu einem kleinen Plausch hierher einzuladen. Spira ist ein wenig schüchtern.«
Artig lachte Spira über seine Worte. Ihre wachsamen dunklen Augen betrachteten Kat abschätzig. Jetzt, da Kat neben ihr stand, konnte sie sehen, dass die andere Frau recht viel Make-up trug und die Lederjacke ziemlich billig wirkte. Klar. Eine Prostituierte.
»An Sonntagen geht ihr Freund immer zur Kirche und ist danach zum Mittagessen bei seiner Mutter, da hat Spira ein paar Stunden lang frei«, fuhr Piola fort.
Spira nickte, offensichtlich zufrieden mit der Beschreibung der Tagesplanung ihres Zuhälters.
»Das hier hat mir keine Ruhe gelassen«, fuhr er fort und hielt die Seite hoch, die jemand aus dem hinteren Teil der La Nuova Venezia herausgerissen hatte, der Zeitung, die man im gemeinsamen Hotelzimmer von Jelena Babi ć und Barbara Holton gefunden hatte.
»Ich kenne ein paar von diesen Mädels«, mischte Spira sich ein und deutete auf die Kleinanzeigen, die markiert waren. Sie sprach mit deutlichem Akzent – vermutlich osteuropäisch, dachte Kat; genau wie die Zimmermädchen war auch der Großteil der Sexarbeiter hier in Venedig Illegale aus dem adriatischen Raum.
»Gibt es irgendetwas, was Sie uns über sie erzählen können?«, erkundigte Piola sich.
» Da. Die hier ist blond, die da braunhaarig. Diese hier, ihr Zuhälter hat sie mit Heroin angefixt …«
»Ich meinte eigentlich irgendetwas über diese spezielle Gruppe von Mädchen. Haben sie irgendetwas gemeinsam?«
Spira betrachtete die Seite eingehender. »Sie kommen alle aus Kroatien«, verkündete sie schließlich.
»Sind Sie sicher?«, hakte Kat nach.
Ob Sie es glauben oder nicht, mir ist das alles einerlei, deutete Spira mit einem Schulterzucken an.
»Was ist mit diesen beiden Frauen? Haben Sie sie schon mal gesehen?«, fragte Piola, während er die Fotos von Jelena Babi ć und Barbara Holton vor ihr auf den Tisch legte.
» Da. Die hier.« Spira tippte auf das Bild von Jelena.
»Wann?«
»Sie hat nach Mädchen gesucht. Bei Santa Lucia.«
»Wollte sie Ihre Dienste in Anspruch nehmen?«
» Ne. Ich meine, sie hatte ein Bild von einem Mädchen dabei. Sie wollte wissen, ob wir sie gesehen haben.«
»Wie sah das Mädchen aus?«
»Dunkle Haare, dunkle Augen. Auch eine Ustaša «, erklärte Spira, indem sie sich des abwertenden serbischen Ausdrucks für die Kroaten bediente.
»Lassen Sie jemanden die Sachen durchsehen, die wir aus dem Hotelzimmer mitgenommen haben«, raunte Piola Kat leise zu. »Die sollen nach diesem Foto suchen.« Dann wandte er sich wieder an Spira. »Und, haben Sie? Sie gesehen, meine ich?«
Spira blickte ihn an, als wäre er völlig bescheuert. »Das war auf der Straße. Denken Sie, ich will im Kanal landen, mit durchgeschnittener Kehle?«
»Aber wenn Sie sie wiedersehen würden, würden Sie sie erkennen?«
Spira zuckte mit den Schultern. »Auf der Straße sind alle Leute gleich. Die Freier sind gleich. Das Geld ist gleich. Nach einer Weile sehen auch die Gesichter gleich aus.«
Piola seufzte. »Wenn Sie möchten, könnten wir dafür sorgen, dass Sie in eine Einrichtung kommen, die sich um die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Mädchen wie Ihnen kümmert. Man würde Ihnen helfen, clean zu werden, dafür sorgen, dass Sie wieder nach Hause können …«
»Wenn ich jetzt nach Hause zurückkehre, wirft meine Familie mich raus. Und die Leute, die mich hierherbrachten … sie werden mich finden. In Venedig habe ich wenigstens Arbeit. Ich zahle meine Schulden. Und mein Zuhälter kümmert sich um mich.«
Piola entgegnete nichts und gab ihr so die Chance, es sich noch einmal anders zu überlegen. Schließlich fragte sie: »Kann ich jetzt gehen?«
»Ja«, erwiderte er, und im selben Moment sagte Kat: »Eines noch.«
»Was denn?«
Kat trat an ihren Schreibtisch und holte das Blatt mit den Symbolen, die sie auf Poveglia vorgefunden hatten. »Erkennen Sie irgendeines von denen hier?«,
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