Marter: Thriller (German Edition)
begeben würden.
Dann aber versetzte sie sich im Geiste einen Tritt. Es war Sonntag, der arme Mann hatte seine Familie die ganze Woche so gut wie gar nicht zu Gesicht bekommen. »Ich erledige noch etwas Bürokram«, erklärte sie daher. »Wir sehen uns morgen früh, Colonnello.«
27
Staatsanwalt Benito Marcello war jung, gut aussehend, adrett gekleidet und einfach nur sprachlos.
»Sie halten das Ganze für eine amerikanische Verschwörung?«, fragte er ungläubig. »Sie sind verrückt.«
»Vieles weist aber darauf hin, dass das alles multi-nationale Dimensionen hat«, erwiderte Piola in sachlichem Ton.
»Oh, ich bitte Sie«, schnaubte Marcello. »Sie können bislang keine hieb- und stichfesten Beweise liefern, Colonnello, daher schließen Sie die Lücken mit lächerlichen Spekulationen. Und jetzt wollen Sie auch noch die US -Armee unter Strafandrohung vorladen!« Er schüttelte den Kopf. »Ihr Leute von den Carabinieri. Keine Ahnung, wie ihr das immer macht.«
Die Anspielung auf das Vorurteil, sie seien allesamt dumm, war zwar subtil, aber deswegen nicht minder effektiv. Kat spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen.
Ihr Boss, das musste man ihm zugutehalten, schien davon unbeeindruckt. »Wir geben keiner Theorie den Vorzug, sondern behandeln sie derzeit alle gleich. Dennoch sind wir der Überzeugung, dass wir jeder Spur nachgehen sollten, ehe es zu einer Voruntersuchung kommt.«
Kat wartete ab. Sie wusste nur zu gut, dass der Staatsanwalt ihre Ermittlungen jederzeit in eine bestimmte Richtung lenken konnte, ganz wie es ihm beliebte. Dann würde Marcello die Ergebnisse ihrer Ermittlungen dem Gericht vorlegen; nur wenn das dann einer Meinung mit ihm war, dass ausreichend Prima-facie-Beweise vorlagen, um jemand Bestimmten unter Anklage zu stellen, konnten sie und Piola ganz offiziell damit beginnen, Beweise zu sammeln. Und das bedeutete, zumindest in der Theorie, dass sämtliche Ermittlungsarbeiten, die sie bis dato durchgeführt hatten, noch einmal wiederholt werden müssten. Das System war unheimlich komplex und weckte nicht unbedingt Vertrauen: Zum einen kam es in vielen Fällen gar nicht erst zur Strafverfolgung, selbst wenn bereits viel wertvolle Zeit verschwendet worden war, und zum anderen oblag es letzten Endes dem jeweiligen Staatsanwalt, ob in einem bestimmten Fall ermittelt wurde oder nicht.
»Lassen Sie mich ein alternatives Szenario vorschlagen«, meinte Marcello knapp. »Wir haben es mit zwei weiblichen Ausländerinnen zu tun, eine Amerikanerin, die andere Kroatin, die sich ein Hotelzimmer in unserer wunderschönen Stadt teilen. Es kommt zu einer obszönen Zeremonie an einem entlegenen Ort, der mit gotteslästerlichen und okkulten Symbolen verunstaltet ist. Wir haben es mit der ultimativen Entweihung der heiligen Messe durch eine von ihnen zu tun, die zu allem Überfluss auch noch Priesterkleider trägt. Das ist alles ziemlich unappetitlich, aber nichtsdestoweniger reizvoll für Leute mit gewissen Neigungen. Wenn wir uns nun fragen, welchen Neigungen diese beiden Frauen nachgingen, dann finden wir mit Sicherheit heraus, dass sie genau die Art von Leuten waren, die irgendwelchen ausgeklügelten Verschwörungstheorien nachhängen. Wir finden heraus, dass sie sich auf dubiosen Websites herumtrieben und gern in dunklen Ecken des Internets herumlungerten, wo derlei Dinge ungehindert entstehen können. Und dann finden wir auch noch heraus, dass man beobachtet hat, wie sie nach einer Prostituierten suchten – nach einer ganz bestimmten Prostituierten. Ohne Zweifel eine, die ihre besonderen Vorlieben teilt.«
Er machte eine kurze Pause, und mit einem Gefühl der Enttäuschung wurde Kat klar, worauf er mit alledem hinauswollte.
»Möglicherweise haben sie einen Streit, diese beiden Frauen, so unter Liebenden. Möglicherweise beschließt eine von ihnen, dass sie letzten Endes doch nicht so sonderlich erpicht darauf ist, das Bett mit einer Prostituierten zu teilen. Es kam zu einer Zeremonie, die sexueller Natur war, reizvoll und ziemlich verboten, ja, aber vielleicht waren nicht alle Beteiligten gleichermaßen gewillt, da mitzumachen … Nehmen wir mal an, die Amerikanerin bringt die Kroatin um. Später dann tötet sie sich voller Reue selbst, in dem Hotelzimmer, das sie geteilt haben, und stürzt dabei aus dem Fenster. Das, so scheint mir, ist doch weitaus plausibler als diese Verschwörungstheorie, die Sie sich da zusammenfantasiert haben, und am Ende bleiben sogar weit weniger lose Enden übrig.«
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