Marter: Thriller (German Edition)
schaffen; sie würde nicht zulassen, dass sie die Hoffnung verlor.
Nevena breitete das Geld, das Kat ihr gegeben hatte, auf dem Tisch aus. Zehn Euro schob sie zur Seite. »Das ist der pizzo – den muss Romano der Mafia aushändigen.« Sie nahm einen weiteren Zehneuroschein und legte ihn obendrauf. »Das ist für meinen Unterhalt.« Nun waren noch dreißig übrig. »Er kriegt das hier, ich kriege das hier«, sagte sie, legte zwei Zehner auf den Stapel und behielt einen für sich.
Kat überreichte Nevena ihre Visitenkarte. »Es gibt Organisationen, die können Ihnen helfen«, erklärte sie, wie sie das immer in solchen Fällen tat. »Die können Ihnen helfen, aus diesem Job auszusteigen und nach Hause zurückzukehren.«
Einen kurzen Augenblick wirkte das Mädchen, als wäre es tatsächlich versucht. Dann aber schob sie ihr die Karte über den Tisch zurück. »Danke, aber wenn ich das tue, dann verliere ich all meine Ersparnisse, und kriegen tun sie mich trotzdem. Es ist besser, wenn ich mich ihnen füge. Und wenn ich dann wieder nach Hause zurückkehre, kommt kein Video mit der Post an, meine Familie lassen sie in Ruhe, und ich kann so tun, als hätte ich bloß als Kindermädchen gearbeitet, wie sie das die ganze Zeit angenommen haben.«
»Was, wenn Ihr Zuhälter Sie erneut verkauft?«, erkundigte Kat sich sanft. »Haben Sie daran schon mal gedacht?«
»Ich glaube nicht, dass er das tun wird. Ich glaube nicht, dass er so schlecht ist wie die anderen.«
»Behalten Sie meine Karte trotzdem«, beharrte Kat und ließ sie auf dem Tisch liegen. »Bewahren Sie sie irgendwo auf, wo sie keiner findet.«
So gegen elf, als es in den Bars lauter und die Zuhälter aggressiver wurden, gesellte Piola sich zu ihr.
»Ich dachte, du kannst vielleicht Gesellschaft brauchen. Und wenn es nur darum geht, auf dich aufzupassen.«
»Ich für meinen Teil«, erwiderte sie erschöpft, »würde viel lieber von hier verschwinden.«
»Sollen wir was essen gehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Lass uns nach Hause fahren.«
In ihrer Wohnung küsste sie ihn und genoss die wohlige Wärme seines Körpers. Sie fing an, ihn zu entkleiden – hielt jedoch inne, als ihre Gedanken wieder zu dem Mädchen aus Bosnien zurückkehrten, das angenommen hatte, als Kindermädchen zu arbeiten, dem man aber stattdessen Pornovideos zeigte und erklärte, es solle einfach nachmachen, was es da sah.
»Ich kann nicht«, erklärte sie deshalb.
»Ich verstehe«, erwiderte er sanft. »Komm, ich bring dich ins Bett.«
Er stellte sie unter die Dusche, trocknete sie ab, ließ sie zwischen seinen Beinen knien, damit er ihr den Kopf mit einem Handtuch trocken rubbeln konnte. Genauso hatte ihr papà es gemacht, als sie noch ein Kind war.
Er steckte sie ins Bett und zog ihr die Decke bis zum Kinn hoch. »Soll ich verschwinden?«
»Nein«, entgegnete sie. »Bleib noch ein Weilchen.«
Er kletterte zu ihr ins Bett, vollständig bekleidet, und hielt sie einfach nur fest. Trotzdem konnte sie nicht einschlafen.
Sie erzählte ihm von Nevena. »Und was sagt das Gesetz zum Fall von Nevena?«, sprach sie wütend ins Dunkel hinein. »Dass sie eine Kriminelle ist. Dass sie nicht einmal eine Staatsbürgerin ist in diesem Land. Dass sie keinerlei Rechte besitzt. Und aus diesem Grund muss sie wieder und wieder für Geld mit fremden Männern ins Bett steigen, weil wir ihr nämlich nicht helfen wollen.«
»Und die Mafia nimmt sich ihren Teil.«
»Wie bei allem in dieser Stadt.«
»Weißt du, als ich anfing, da war es noch nicht so schlimm. Aber jetzt … Ich weiß zum Beispiel, dass jeder einzelne Gondoliere einen pizzo zahlen muss. Die ganzen Croupiers im Gemeindekasino sind Strohmänner der Mafia. Die Hälfte der Hotels hier hilft bei der Wäsche von Drogengeldern mit, und jedes Kind, das gerade mal die Schule hinter sich hat, kann sich mit Leichtigkeit einen Kredit holen, um sich mit einer Pistole und einem Kilo Kokain auszustatten. Und was macht die Polizei dagegen? Wir reden uns mit den Worten heraus: Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche, auf Morde und Diebstähle. Die Staatsanwälte schauen einfach weg, wenn man zum Schöffen berufen wird, ist das wie ein Sechser im Lotto, und die Richter spielen bei der Farce entweder mit, oder sie werden umgepustet. Und das soll also nicht das Wesentliche sein?« Er schwieg einen Moment lang. »Eine Frage, die ich mir ständig stelle, ist die: warum Italien?«
»Was meinst du damit?«
»Woran liegt es wohl, dass ausgerechnet unser
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