Marter: Thriller (German Edition)
Land so über die Maßen korrupt ist, im Gegensatz zu anderen? Spanien, Griechenland, Portugal, Frankreich … Ärmere Länder zum Teil, trotzdem hat keines von ihnen ein Problem mit dem organisierten Verbrechen, das vergleichbar mit dem unseren wäre. Was ist an Italien so Besonderes, dass wir es einfach nicht schaffen, es an seinen Wurzeln zu packen?«
»Vielleicht ist es einfach so, man kann nichts dagegen tun.«
»Vielleicht. Oder aber es hat etwas mit uns zu tun. Mit unserem Volkscharakter. Vielleicht werden wir uns nie davon befreien können.«
»Sei doch nicht so pessimistisch. Selbst Nevena gibt die Hoffnung nicht auf.«
»Nevena hat man immer wieder Hoffnungen gemacht«, entgegnete er. »Das macht es ja gleich noch schlimmer. Sie beherrschen das inzwischen schon richtig meisterhaft, nicht wahr? Früher verabreichten sie den Mädchen immer ein klein wenig Heroin, um sie sich gefügig zu machen. Aber Hoffnung kommt billiger und ist nicht weniger effektiv. Die gehorsamste Hure ist diejenige, die denkt, sie könne durch ihre Arbeit dem Dasein als Hure entkommen. Der Kapitalismus ist der beste Freund des Zuhälters.«
»Du denkst also, sie wird erneut weiterverkauft werden, ehe sie ihre Schulden abbezahlt hat?«
»Darauf verwette ich meinen Arsch. Tut mir leid.«
Dann dösten sie beide eine Weile vor sich hin. Später weckte sie ihn auf, und sie liebten sich im Dunkeln, ganz langsam und zärtlich, und sie dachte, wie außergewöhnlich es doch war, dass dieser Akt einerseits so wundervoll und doch zugleich auch so grausam sein konnte; dass Sex Frauen wie Nevena verschulden und versklaven konnte, aber auch, wie das zwischen ihr und Aldo derart viel bedeuten und einen zutiefst trösten konnte.
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Aus der Morgenausgabe der La Nuova Venezia:
»SATANISTENMORDE«
LOCKEN AUSLÄNDISCHE BESUCHER
– Leichnam der Frau trug »katholisches Priestergewand«
– Staatsanwalt warnt vor der »verdorbenen Welt des Okkulten«
– »Illegale« Website in Todesfälle verwickelt
Der Leichnam einer Frau aus Osteuropa, der während der Feierlichkeiten zu La Befana in der Nähe der Santa Maria della Salute gefunden wurde, war, so bestätigte die Staatsanwaltschaft gestern, in ein katholisches Priestergewand gekleidet.
Man geht davon aus, dass die Frau getötet wurde, als sie sich unbefugt auf Poveglia aufhielt. Es handelt sich hierbei um eine Insel, die von der Lagunenaufsicht für Besucher als nicht sicher eingestuft wurde. Ein zweiter Leichnam, eine Amerikanerin osteuropäischer Abstammung, wurde wenige Zeit später aus dem rio unterhalb des Hotelzimmers gefischt, das die beiden Frauen sich teilten. Ein Zimmermädchen dieses Hotels erklärte, sie habe das Paar mehr als ein Mal heftig streiten hören.
Inzwischen wird vermutet, dass die beiden Ausländerinnen von einem örtlichen Fischer namens Ricci Castiglione, 37, zu der Insel gebracht wurden. Auch ihn fand man am Montag tot auf. Die Umstände deuten laut Ermittlerkreisen darauf hin, dass es sich wohl »um einen Selbstmord handeln könnte«.
Der Staatsanwalt, Marcello Benito – der weithin als einer der erfolgreichsten Anwälte der Stadt betrachtet wird – erklärte gestern in einer Pressekonferenz: »Es ist noch zu früh, endgültige Schlüsse zu ziehen. Allerdings kann ich bestätigen, dass man am ersten Tatort okkulte Symbole vorgefunden hat. Sicherlich wurden derlei Dinge lange Zeit als extrem gefährlich eingestuft, und selbst aus unserer heutigen Perspektive können wir die Gründe hierfür gut nachvollziehen.«
Dann hatte er noch hinzugefügt: »Wenn ein Ortsansässiger in diese unschöne Affäre verwickelt wurde und sich daraufhin das Leben genommen hat, dann zeigt das nur, wie real diese Gefahren immer noch sind.«
Auf die Frage, ob irgendetwas darauf hindeute, dass die beiden Frauen ein Liebespaar waren, erklärte eine Vertreterin der Carabinieri der Presse gegenüber lediglich: »Kein Kommentar.«
Als wäre das alles noch nicht kompliziert genug, sieht es darüber hinaus ganz danach aus, als habe das Paar seine Aktivitäten auf einer umstrittenen Website ausgebreitet. Carnivia.com, eine Seite, deren Ursprung in Venedig liegt, jedoch User weltweit lockt, erlaubt es seinen Nutzern, Nachrichten und sogar Videomaterial anonym auszutauschen. Da man unter anderem befürchtete, die Seite könne zu pornografischen und okkulten Zwecken genutzt werden, beantragte die italienische Staatsregierung erst kürzlich Zugriff auf die Server von Carnivia, wobei man sich
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