Marter: Thriller (German Edition)
auf die Anti-Secrecy-Gesetze berief. Der Eigentümer der Seite, Daniele Barbo, wartet derzeit auf den Urteilsspruch in einem Prozess, in dem man ihm mangelnde Kooperationsbereitschaft vorwirft.
Barbo verweigerte bis zum Datum der Drucklegung dieser Ausgabe jeglichen Kommentar.
»Ricci Castiglione hat also Selbstmord begangen«, meinte Kat angewidert.
»Offensichtlich«, entgegnete Piola. »Hat sich selbst in einem Behälter voll von seinen eigenen Krebsen ertränkt, aus Reue, weil er zwei lesbische, osteuropäische Hexen getötet hat. Höchst beeindruckend.«
»Du hast doch selbst gesagt, dass Marcello gut ist in solchen Dingen. Im Grunde passt alles, was hier steht, zu den Beweisen, wenn man hier und da ein Auge zudrückt.«
»Es sei denn, man weiß, dass hier einiges verschwiegen wird«, wandte Piola ein.
Es war bereits später Vormittag, aber im Hauptquartier ging es dennoch ruhig zu. Über Nacht hatte man die Hälfte der Beamten ihres Ermittlerteams auf andere Fälle angesetzt.
Piola seufzte. »Das Ärgerliche ist doch, dass wir nichts Handfestes als Alternative zu bieten haben. Da sind so viele Einzelheiten, die vielversprechend scheinen, doch sobald wir den Spuren nachgehen, stellen sie sich als trügerisch heraus.«
»Mach dir keine Sorgen. Wir schaffen es schon noch. Irgendwann finden wir die nötigen Beweise, da bin ich mir sicher.«
Nachdem sie herausgefunden hatten, dass die Tätowierungen auf Jelenas Körper katholischen Ursprungs waren, hatte Kat eine weitere E-Mail an »Karen« geschickt, jene Frau, die vorgegeben hatte, eine Priesterin zu sein. Lange hatte sie keine Antwort bekommen, doch jetzt war da plötzlich aus heiterem Himmel eine Nachricht in ihrem Postfach.
Loggen Sie sich bei Carnivia ein. Wir treffen uns am Campo San Zaccaria. Kommen Sie allein.
Sie tat, wie ihr geheißen, bis auf eine Kleinigkeit: Auch wenn ihr Avatar sich allem Anschein nach allein durch die Welt von Carnivia bewegte, stand in der wirklichen Welt Piola neben ihr vor dem Computer, etwas verstört, aber doch gefesselt von dem Ganzen.
»Das ist also eine Art Computerspiel?«, erkundigte er sich, während sie durch das virtuelle Äquivalent Venedigs zum Campo San Zaccaria eilte.
»Malli meint, es handelt sich technisch gesehen um eine Spiegelwelt, und die ist wiederum eine Art MUSE – ein Multi-User Simulated Environment. Die sind groß im Cyberspace. Second Life, World of Warcraft – allein auf diesen Seiten tummeln sich mehrere zehn Millionen User. Mein Bruder war früher ganz verrückt nach einer von diesen virtuellen Welten, Twinity hieß die. Er verbrachte jeden Tag viele Stunden vor dem Computer. Seiten wie Carnivia führen da im Vergleich ein Nischendasein.«
»Sie richten sich also in erster Linie an Teenager?«
»Einige ja. Aber Carnivia ist anders, weil jeder dort eine Maske trägt. Daher lässt sich der Carnivia-Avatar auch dazu zweckentfremden, die eigenen Aktivitäten im Netz zu verschleiern, wenn man dies möchte.«
Als Columbina7759 überquerte sie soeben eine perfekte Nachbildung des Markusplatzes, ging am Riva degli Schiavoni entlang und wandte sich dann nördlich in Richtung Campo San Zaccaria.
»Da wären wir.«
Es war schon sonderbar, in einem Gebäude zu sitzen, während man im selben Moment eine exakte Replik dieses Gebäudes auf dem Bildschirm betrachtete. Die Nachbildung war perfekt bis hin zu dem winzigen Riss in dem Ziergiebel oberhalb der Eingangstür.
»Bemerkenswert«, stellte Piola anerkennend fest.
Vor dem Hauptquartier der Carabinieri wartete eine Gestalt mit einer Domino-Maske. Als Kat auf sie zueilte, erschien oberhalb von deren Kopf ein Pop-up-Fenster.
Domino67980 möchte mit Ihnen chatten. Erlauben?
Sie klickte auf »Ja«.
Vielen Dank. Ihr Chatverlauf wird verschlüsselt.
Dann tauchte eine Sprechblase am Mund der Gestalt auf.
Folgen Sie mir.
Sie tat wie geheißen. Die Gestalt führte sie zu einer ruhigen Ecke des Platzes.
Was wollen Sie wissen?
Kat fing an zu tippen:
Sind Sie eine Priesterin? Eine echte, meine ich?
Da haben Sie sich für den Anfang eine schwierige Frage ausgesucht.
Es folgte eine kurze Pause. Dann schrieb Domino67980:
Wenn es nach dem Papst geht, dann nicht. Doch die Theologie ist tatsächlich auf unserer Seite. Es sind die Bischöfe, die die Priester ernennen, nicht die Päpste. Und wenn ein Bischof beschließt, einer Frau die Ordination zu erteilen, dann ist diese Frau in den Augen Gottes eine Priesterin, sobald sie das Sakrament der Weihe
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