Martha Argerich
und einem kindlichen Lachen. Sie wurden sofort Freunde. Der texanische Pianist, damals siebenundzwanzig Jahre
alt, holte 1957 in Bozen den zweiten Preis. Er machte eine solide Karriere in den Vereinigten Staaten und spielte oft unter Leonard Bernstein, Lorin Maazel oder Eugene Ormandy.
Martha Argerich wurde in jenem Jahr erste Siegerin beim Busoni-Wettbewerb, und der ganze Saal brachte ihr stehende Ovationen dar, als sie mit ihrem Vorspiel fertig war. Alle waren sich darüber einig, der Geburtsstunde eines herausragenden Talents beigewohnt zu haben, das keinerlei Ähnlichkeit mit all dem hatte, was vorher gewesen war. Die gekrönte Heldin des Tages wirkte von diesem Triumph freilich etwas verstört, als würde er gar nicht ihr gebühren. Ihr Gesichtsausdruck auf den Fotos, der ihre Schüchternheit und ihr Unwohlsein bezeugt, erinnert an den einer gewissen Maria Callas, als diese ihre ersten Erfolge feierte.
Zehn Tage später machte sie sich ohne jeden Gedanken an mögliche Konsequenzen und erstaunlich abgebrüht zum Wettbewerb nach Genf auf. Jeder andere hätte erst einmal seine Nerven beruhigen, seinen Erfolg genießen, sich die Zeit nehmen wollen, wieder »zu sich zu kommen«. Niemand wäre das Risiko eingegangen, so schnell seinen gerade erst errungenen Titel aufs Spiel zu setzen. Und wie sollte man sich auch in so kurzer Zeit auf ein vollkommen anderes Programm vorbereiten?
Der Wettbewerb von Genf war keineswegs nur ein Provinz-
ereignis. Arturo Benedetti Michelangeli hatte ihn 1939 zum ersten Mal gewonnen. In diesem Jahr, 1957, befand sich Maurizio Pollini, nunmehr fünfzehnjährig, unter den Kandidaten. Weil Martha auch erst sechzehn war, hatte Ivan Davis ausgerufen: »Das ist ja der reinste Kindergarten hier!« Aber die beiden Youngster spielten nicht in derselben Liga, denn damals waren die Anforderungen für Männer und Frauen noch verschieden, und es gab zwei Ranglisten. »Fein säuberlich getrennt, wie auf dem Klo«, echauffierte sich Gulda. Im Gegensatz zu Bozen war Genf nicht nur aufs Klavier fokussiert. Wettbewerbe für Klarinette, Fagott, Cello, Streichquartette und Vokalisten fanden zur selben Zeit statt. Martha Argerich zufolge war das Programm auch weniger anspruchsvoll. »Kürzer und nicht so interessant.« Sprich: »Präludium« und »Fuge G-Dur« aus dem Wohltemperierten Klavier Teil I von Bach, die Sonate Nr. 7 D-Dur von Beethoven, ein paar Chopin-Etüden, die Toccata von Ravel und die Ungarische Rhapsodie Nr. 6 von Liszt. Als er hörte, dass die argentinische Pianistin in Genf antreten wollte, geriet der Präsident des Busoni-Wettbewerbs in Zorn: »Das können Sie uns doch nicht antun!« Und in der Tat: Sollte Martha in Genf nicht den ersten Platz erringen, hätten die Mitglieder der Bozener Jury ihr Gesicht verloren. Wie die Künstler selbst haben auch die Wettbewerbe ein Ego, das es zu respektieren gilt!
Am Vorabend des Ereignisses war Martha von keinerlei Ängsten gepeinigt. Ihre Sorglosigkeit ging so weit, dass sie am Morgen sogar verschlief und nicht rechtzeitig im Konservatorium eintraf, wo der Wettbewerb stattfinden sollte. Sie musste sich ein ärztliches Attest besorgen, um ihre Abwesenheit zu rechtfertigen und am nächsten Tag antreten zu können. Nach ihrem Auftritt war ihr Name im Café Lyrique, wo sich die Kandidaten und sonstigen Klavierfreunde gewöhnlich trafen, in aller Munde. Einige unter den Jurymitgliedern fragten sich, ob es sich bei ihr wirklich um eine Frau oder nicht doch um einen Titanen mit stählernen Armmuskeln handelte, denn die Kandidaten pflegten, um sich jeglichen außermusikalischen Einflüssen zu entziehen, hinter einem Vorhang zu spielen. Der Höhepunkt war die Ungarische Rhapsodie Nr. 6 von Liszt, die Martha dank einer Aufnahme von Vladimir Horowitz für sich entdeckt hatte. Alle behaupteten, niemals etwas Derartiges gehört zu haben. Es hieß, ihr Spiel sei das eines Zigeuners: die reine Natürlichkeit. Richard Hauser, ein bedeutender Professor aus Wien, war begeistert. Die einzige Einschränkung des strengen Kritikers, der im Journal de Genève vom 4. Oktober 1957 ihr »farbiges Spiel und die vollendete Eleganz ihrer Bach-Interpretation« über alle Maßen lobte, bezog sich auf ihre Darbietung der Sonate Nr. 26 von Beethoven, Les Adieux , der ein »winziges Etwas an Hingabe, Ausdruck und Brio« gefehlt habe.
Am Tag des Finales sorgte die protokollarische Anwesenheit der italienischen Exkönigin, die sich während des Krieges mit den Faschisten
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