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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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verwandelte
sich schnell in ein Trio à la Jules und Jim , aus jenem berühmten
Film von François Truffaut, der damals gerade in die Kinos kam und die frankophile Intelligenzija New Yorks begeisterte. Robert Chen wohnte in der Nähe des Lincoln Center und traf Martha
jeden Tag. »Wir sprachen über Musik, so wie Mathematiker über Mathematik sprechen«, erinnert er sich. Martha hatte wieder angefangen, Klavier zu spielen, allerdings lediglich »als Amateurin«. Ohne Zwänge, ohne zeitlichen Druck, ohne sich zu verausgaben. Eines Abends kam Daniel Barenboim sie nach einem seiner Konzerte in der Carnegie Hall besuchen, und sie verbrachten die halbe Nacht damit, sich irgendwelche Stücke für vier Hände zu erarbeiten. Ein paar Tage danach hörte Robert sie alle vierundzwanzig Préludes von Chopin spielen.
    Im Juni 1963 wollte Martha zurück nach Europa, um auf andere Gedanken zu kommen. Robert Chen, der seine Prüfungen glücklich hinter sich gebracht hatte, nutzte ihre Abwesenheit, um seine Eltern in San Francisco zu besuchen. Am Vorabend ihrer Abreise, überwältigt von ihren Gefühlen, schliefen sie zum ersten Mal miteinander. Als gute Freunde. Ein paar Wochen später musste Martha erkennen, dass sie schwanger war. Juanita, die gehofft hatte, dass ihre Heimkehr einen erneuten Aufschwung ihrer Karriere mit sich bringen würde, war fassungslos. Nach drei Jahren des Nichtstuns würde ihre Tochter sich nun mit Windeln und Fläschchenwärmern herumschlagen müssen! Und wer war der Vater? Ein Chinese aus Amerika, ein politischer Flüchtling, arm und unbekannt! Martha, die erklärte Abtreibungsgegnerin, flog, der mütterlichen Vorhaltungen überdrüssig, nach Kalifornien, wo die beiden Freunde am
7. September 1963 in San Francisco heirateten. Die Eltern von Robert Chen hatten einen buddhistischen Mönch ausfindig gemacht, der die Trauung vollzog. Die Exotik der Zeremonie ließ die Pianistin sicherlich ihren entschlossenen Widerwillen gegen jede Form des Pärchendaseins vergessen. Und außerdem erforderte der Respekt vor dem ungeborenen Leben auf jeden Fall eine richtige Eheschließung! Die beiden Jungverheirateten ließen sich in New York nieder, doch ihre Verbindung hielt den Herausforderungen des Zusammenlebens nicht länger als drei Wochen stand. Dem Bruch ging eine Lappalie voraus: Martha, die die Angewohnheit hatte, vor dem Schlafengehen mit nackten Füßen in der Wohnung herumzulaufen, hatte Brotkrümel in das eheliche Bett hineingetragen. Ihr Mann hatte nichts zu den überall verstreut herumliegenden Kleidungsstücken gesagt, zu den langen schwarzen Haaren im Waschbecken, den verloren gegangenen Zahnpastatubendeckeln, den in leeren Kaffeetassen ausgedrückten Zigarettenstummeln, doch wegen der paar Brotkrümel machte er ihr eine regelrechte Szene. Erbost packte Martha ihre Koffer und zog auf der Stelle aus.
    Fou Ts’ong seinerseits war vollkommen am Ende wegen der Wendung, die die Ereignisse genommen hatten. Martha würde ein Kind von einem anderen bekommen! Von einem Freund, den er ihr selbst vorgestellt hatte! Ein halbchinesisches Kind, von dem jeder denken würde, dass es seines wäre! Wie hatten sie ihm das nur antun können?
    In den Siebzigerjahren kam Martha Argerich gelegentlich nach New York, um dort Konzerte zu geben. Sie machte erstaunliche Bekanntschaften, allen voran mit der brasilianischen Gitarristin und Sängerin Olga Praguer Coelho, deren Platten immer wieder für Begeisterung sorgen. Sie hatte sowohl ihren Ehemann als auch Rio de Janeiro 1944 verlassen, um mit ihren beiden Kindern zu ihrer großen Liebe zu ziehen, dem Gitarristen Andrés Segovia, der in der Upper East Side wohnte, genau gegenüber von Horowitz. Olga war eine wilde Mischung aus Aristokratin und Hippie. Ihre Persönlichkeit war ebenso extravagant wie von magnetischer Anziehungskraft. Zu ihren engen Freunden zählten Salvador Dalí, Franklin Roosevelt und Heitor Villa-Lobos. Doch auch Milchmänner und Pförtner gehörten zu ihrem inner circle . Sie war der Spross einer steinreichen Familie aus Amazonien, die angeblich ihre Wäsche zum Waschen nach England schickte. Ihre beiden deutschen Kindermädchen, die sie aufgezogen hatten, lebten später bei ihr, bis sie mit über einhundert Jahren starben. Ihre Stimme war einzigartig und ihr Temperament phänomenal. 1936 fuhr sie per Zeppelin zu den Olympischen Spielen nach Berlin. Sie war ein ausgesprochen unterhaltsamer Mensch und gab ständig Geschichten zum Besten, die ihr angeblich

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