Martha Argerich
Orchesterstücke vorgesehen. Daraufhin beschwerte sich die Pianistin, die sich in bester Form fühlte, über ihren erzwungenen Müßiggang. Abends in der Großen Halle des Volkes am Tian’anmen-Platz wurde eine Programmänderung verkündet, die einen wahren Freudentaumel im Publikum auslöste: Martha Argerich spielt! Am nächsten Tag verausgabte sie sich erneut und mit der gleichen Leidenschaft bei Liszts Klavierkonzert Nr. 1 . Gibt es dazu mehr zu sagen? Es handelte sich um ein echtes Geschenk – ohne dass die Gage verdoppelt wurde.
Im Mai 1969 beschlossen Martha Argerich und Charles Dutoit, in Buenos Aires zu heiraten. Martha freute sich, ihren Vater wiederzusehen, der seinerseits eine neue Ehe eingegangen war, und Charlie brannte darauf, Argentinien kennenzulernen. Um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, hatte er eingewilligt, ein Konzert in Rosario zu geben, bei dem sie beide ein paar Tage nach der Hochzeitszeremonie auf der Bühne vereint sein würden. Die Gage sollte an Juanita gehen, die sich stets darüber beschwerte, zu knapp bei Kasse zu sein. Das war zweifellos das Lockmittel, mit dem er Martha dazu gebracht hatte, auf dieses Angebot einzugehen. In der Nacht ihrer Ankunft auf argentinischem Boden entlud sich ein heftiges Gewitter über dem Land, sodass das Flugzeug nur unter größten Schwierigkeiten landen konnte. Ein weiteres Hindernis erwartete sie: Der Bürgermeister von Buenos Aires weigerte sich, sie zu verheiraten, weil sie beide geschieden waren. Das junge Paar beschloss daraufhin, weiter nach Asunción in Paraguay zu fliegen, doch
kamen sie zu spät an den Flughafen, und aus diesem Vorhaben wurde nichts. Stattdessen ging ein Flieger nach Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay. Dort tauschten sie dann ein paar Stunden später die Ringe. Der Abend wurde in einer sehr kosmopolitischen Gesellschaft aus lauter Intellektuellen und Künstlern verbracht, in der das jungvermählte Paar auch der Enkeltochter von Lew Tolstoi begegnete. Pikantes Detail am Rande: Laut Schweizer Gesetz war Charles Dutoit für ein paar Monate Bigamist. Tatsächlich wurde seine Scheidung erst in dem Moment für rechtsgültig erklärt, da er sich neun Monate hintereinander nicht mehr in der Schweiz aufgehalten hatte, um die Rechte eines eventuell in dieser Periode geborenen Kindes zu gewährleisten. Martha blieb eine Zeit lang in Buenos Aires und gab sogar ein Recital im Teatro Colón. Das Programm bestand aus den Funérailles von Liszt, Jeux d’eau von Ravel sowie dem Scherzo Nr. 2 und der Ballade Nr. 3 von Chopin.
Die Hochzeitsreise war für Ende des Jahres vorgesehen. Nach einem Auftritt mit dem Klavierkonzert Nr. 3 von Prokofjew zusammen mit Abbado in Paris begab sich Martha auf ihre erste Recitaltournee in Japan. Charlie stieß in Tokio zu ihr, nach einem Zwischenstopp in Anchorage in Alaska. Reichlich niedergeschlagen aufgrund ihrer schlechten Laune, folgte er ihr nach Fukuoka im Süden des Landes, um – völlig erschöpft durch den Jetlag – mitten in Beethovens Waldsteinsonate einzuschlafen. Dieser Zwischenfall, der sie normalerweise zum Lachen gebracht hätte, löste eine unglaubliche Wut in ihr aus.
Die Tournee endete in Osaka mit einem Konzert, das Charlie dirigierte. Anschließend begab sich das Paar auf eine touristische Rundreise quer durch Asien. Von Seoul ging es nach Pusan durch ein Korea, das noch von den Spuren des Krieges gezeichnet war, dann nach Taiwan, Hongkong, Kalkutta, Kathmandu, Delhi, Afghanistan und Taschkent in Usbekistan. Als sie die Sicherheitskontrolle passieren wollten, um nach Moskau zu fliegen, zuckten die usbekischen Zollbeamten bei der
Kontrolle der Visa zurück, die vom sowjetischen Konsulat in Japan ausgestellt worden waren. Charles Dutoit konnte noch so sehr darauf verweisen, dass sie von der Aeroflot bestätigt worden seien – es war nichts zu machen. Aufgrund der späten Stunde war niemand mehr von der Verwaltung zu erreichen, sodass die beiden Jungvermählten die Nacht im Gefängnis verbringen mussten. Martha, die schwanger mit Annie war, rührte die schmale Kost nicht an, die man ihnen zum Abendessen servierte. Sie hatte vor der Abreise keine Zeit gefunden, alle nötigen Impfungen vornehmen zu lassen, und befürchtete eine Infektion. Als er sich allein in der Nachbarzelle befand, ließ Charles seinen Tränen der Wut und Ohnmacht freien Lauf. Am nächsten Morgen schickten die Zollbeamten, die keine offizielle Bestätigung der Visa erhalten hatten, sie nach Wien, von
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