Martha Argerich
mit James Galway Chopins Préludes und Francks Sonate für Flöte und Klavier A-Dur einspielte.
Im Mai 1977 spielten Martha und Stephen ihre erste und einzige gemeinsame Schallplatte ein. En blanc et noir von Debussy, die Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug von Bartók und das Andante und Variationen für Klavier zu vier Händen von Mozart. Die Aufnahme ist eine wahre Fundgrube an Ideen, an jugendlichem Ungestüm und Farbigkeit. Zu Beginn ihrer Karriere mochte Martha das Vierhändigspielen gar nicht, aber nachdem die Platte mit Kovacevich herausgekommen war, haben ihre Freunde sie regelrecht dazu gedrängt. Nach und nach fand sie Gefallen an dieser brüderlichen Art zu spielen, die eine Interpretation symphonischer Werke im Tandem erlaubt und ein Repertoire eröffnet, das vielleicht nicht essenziell, aber dafür umso abwechslungsreicher ist. Später hatte sie auf diese Weise auch die Möglichkeit, Konzertveranstaltern junge Künstler nahezubringen, die sie unterstützte und somit einem breiteren Publikum zu präsentieren vermochte. Die Aufnahme mit Kovacevich schlug also eine Bresche. Sie ist auf völlig untypischem Wege zustande gekommen. Martha konnte beim künstlerischen Direktor von Philips und bei ihrem Partner durchsetzen, dass der Termin im Plattenstudio zu einem Zeitpunkt stattfand, der ihrer inneren Uhr entsprach: sieben Uhr abends. Das Klavier, das Stephen sich ausgesucht hatte, war tadellos, aber das von Martha hatte einen fürchterlichen Klang. Die Techniker von Steinway mussten am Ende zugeben, dass es ihnen während des Transports ins Plat-
tenstudio hingefallen war. Als die notwendigen Reparaturen endlich fertig waren, war es bereits zwei Uhr morgens, die Zeit, in der Martha in Höchstform ist.
Die »zweite Runde« mit Kovacevich fand kurz nach der Aufnahme jenes Albums ein Ende. Sie hatte drei Jahre angedauert, wie die erste. Stephen hatte sich in eine andere Frau verliebt. Martha war vollkommen verzweifelt. Sie weinte ohne Unterlass und ohne Hemmungen vor ihren Töchtern. »Was soll ich tun? Was soll nun aus mir werden?«, fragte sie Annie. Sie weigerte sich weitere drei Jahre, Stephen zu sehen. Wenn er nach Genf kam, um seine Tochter zu besuchen, flüchtete sie sich zu ihren Freundinnen Diane und Suzie.
1986 kam Martha nach Paris, um mit Daniel Barenboim Nächte in spanischen Gärten von Manuel de Falla und Totentanz von Franz Liszt zu spielen. Letzterer sollte im Nachhinein wie eine unheilvolle Prophezeiung erscheinen: Am 19. Oktober 1987 verstarb Jacqueline du Pré mit nur zweiundvierzig Jahren. Sie vermachte ihr Stradivarius »Dawidow« Yo-Yo Ma und ihr anderes Stradivarius Lynn Harrell, der ihm den Beinamen »du Pré« gab.
Martha übertrug ihre große Liebe zu Stephen Kovacevich auf ihre Tochter Stéphanie, die ihre Sanftmut und Zärtlichkeit ans Licht gebracht hatte. Aber das konnte ihr letztlich nicht die Psychotherapie ersparen. »Im Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, die Sie erregen, sind Sie nicht narzisstisch genug«, hatte der Arzt ihr gesagt. Ein Freund überraschte sie eines Tages vor einem Spiegel, in dem sie sich offenbar lange betrachtet hatte. Mit einem halb ernsten, halb amüsierten Gesichtsausdruck sagte sie zu ihrem Spiegelbild: »Das Problem ist, dass wir beide denselben Menschen lieben …«
Stephen Kovacevich ist der Ansicht, dass sie das Kind in sich bewahrt habe: »In dir stecken ein fünfjähriges Mädchen und ein Junge von vierzehn Jahren.« Aber ist nicht auch die Vorstellung, man müsse nur vernünftig sein, um sich in dieser Welt zu etablieren, letztlich eine Illusion der Erwachsenen?
Montevideo
»Hans Dampf«
Hatten die verwirrenden Reize ihrer seelenverwandten Liebe zu Kovacevich Martha Argerich 1969 dazu gebracht, eine Verbindung mit einem starken Gegenpol einzugehen? Wenn es ihrer
Beziehung zu Stephen an »Polaritäten« gefehlt hat (um ihre
eigene Ausdrucksweise zu zitieren), so sollte ihr Verhältnis zu dem Dirigenten Charles Dutoit genau davon bestimmt sein.
Nordpol und Südpol waren einander erstmals 1958 in Genf begegnet. Südpol hatte gerade im Alter von sechzehn Jahren den ersten Preis des berühmten Klavierwettbewerbs jener Stadt gewonnen. Nordpol hatte Südpols Darbietung im Radio gehört. Er war dahingeschmolzen. Mit einundzwanzig Jahren hatte er sein Dirigierstudium am Genfer Konservatorium mit Auszeichnung abgeschlossen. Sein Mentor war der Schweizer Ernest Ansermet, einer der bedeutendsten Dirigenten des zwanzigsten Jahrhunderts, auch
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