Martha Argerich
zurück. Martha legte einen Erholungsurlaub in Montreux ein, während sie auf den Beginn des Verbier Festivals wartete. In Montreux kam es schließlich zum endgültigen Bruch mit Rabinovitch.
Das Konzert in Verbier war für Martha von großer Wichtigkeit. Instinktiv hatte Martin Engstroem begriffen, dass sich Martha, deren Selbstvertrauen nach der existenziellen Erfahrung der Krankheit zweifellos angeschlagen war, dieser Herausforderung kaum entziehen konnte. Die Rückkehr auf die Bühne, die noch während ihrer Rekonvaleszenzzeit, jedoch in Begleitung ihrer beiden Freunde Gidon Kremer und Mischa Maisky erfolgte, sollte für sie sowohl Ansporn als auch Bestätigung sein. Im Laufe der nunmehr sechzehnjährigen Geschichte des Verbier Festivals hat Martin Engstroem sie mit zahlreichen Künstlern zusammengebracht, so etwa mit Nigel Kennedy, Vadim Repin, Gil Shaham, dem Pianisten Evgeny Kissin – und mit Lang Lang, der nicht wirklich ihr Fall war. »Dein Festival, das ist doch reines star system !«, machte sich Martha über ihren Freund lustig. Doch aus alter Treue ist sie immer wiedergekommen und hat sich mal mehr, mal weniger enthusiastisch in jene denkwürdigen Paarungen gestürzt.
2000, in dem Jahr, als ihr Vater starb, bat Dr. Morton Martha um Unterstützung für das John Wayne Cancer Institute, das dringend Geld für die Weiterführung seiner Forschungen benötigte. Sie willigte ein, am 25. März in der Carnegie Hall aufzutreten. Ein wahrhaft historisches Ereignis – hatte sie doch seit neunzehn Jahren nicht mehr allein vor Publikum gespielt (ausgenommen bei ihrem eigenen, 1998 gegründeten Festival im japanischen Beppu). Einige Kritiker zogen sogleich eine Parallele zu Horowitz, der ganze zwölf Jahre pausiert hatte, bevor er am selben Ort sein phänomenales Comeback gefeiert hatte. Doch Horowitz war während dieser Zeit gar nicht mehr aufgetreten, während Martha ihre Karriere durchaus fortgesetzt hatte, wenn auch nicht immer an vorderster Front. Das Konzert bot ein absolutes Ausnahmeprogramm. Die erste Hälfte bestand aus einem Soloauftritt von Martha: Bachs Partita Nr. 2 , Chopins Barcarolle und Scherzo Nr. 3 sowie Prokofjews Sonate Nr. 7 . Die zweite Hälfte umfasste das Quintett Es-Dur op. 44 von Schumann mit dem Juilliard String Quartet und Ravels La Valse für zwei Klaviere zusammen mit Nelson Freire. Und dann, nach einer halben Stunde frenetischem Applaus, spielten Freire und Argerich auch noch den »Walzer« aus Rachmaninows Suite Nr. 2 und das Stück »Laideronette, Kaiserin der Pagoden« aus Ravels Ma mère l’Oye zu vier Händen.
Die New York Times hatte das Ereignis auf der Seite eins angekündigt. Und der Musikkritiker Anthony Tommasini schrieb, Martha Argerich habe an jenem Abend »weder Grenzen noch Ebenbürtige« gekannt, die es mit ihr hätten aufnehmen können.
Beppu
Aus Liebe zu Japan
Für Martha Argerich scheint es nur Japan und den Rest der Welt zu geben. Wie kann eine Künstlerin, die ein solches Bohemeleben führt und so undiszipliniert ist, eine derartige Liebe zu einem Land entwickeln, das ähnlich gleichmäßig tickt wie ein Uhrwerk? Und wie kommt es, dass die Japaner eine Künstlerin zur Ikone erhoben haben, die das genaue Gegenteil ihrer Werte zu verkörpern scheint?
Wenn Hideharu Sahara, Gremiumsmitglied des Music Festival Argerich’s Meeting Point in Beppu, jedes Jahr mit einem Linienflug nach Brüssel, Paris, Genf oder sonst wohin kommt, um seine berühmte künstlerische Leiterin zu treffen, braucht er starke Nerven. Erst wenn sie im Flugzeug sitzt, kann er auf-
atmen und sich zurücklehnen.
Die argentinische Pianistin, die nichts mehr liebt, als zu improvisieren, ordnet sich sofort der herrschenden Disziplin unter, sobald es um Japan geht. Sie, der Preisgelder egal sind und die sich über jede Art von Ehrenabzeichen lustig macht, war extrem gerührt, als sie 2005 den Praemium Imperiale der äußerst angesehenen Japan Art Association erhielt und im selben Jahr den Orden der Aufgehenden Sonne aus der Hand des japanischen Kaisers entgegennehmen durfte. Nie hatte sie bis dato auf Einladungen dieser Art reagiert, ob sie nun aus dem Kreml kamen, aus dem Weißen Haus oder dem Élysée-Palast. Und im Jahr darauf spielte sie im Rahmen des Festivals von Beppu vierhändig mit der damals zweiundsiebzigjährigen Kaiserin – und war nicht wenig stolz darauf!
Martha ist fasziniert von der Aura des Geheimnisvollen, die das Land Mishimas umgibt, von den Ritualen Japans, seiner
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