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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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Konzertveranstalter kein Pardon. Einmal wurde sogar der persönliche Flügel von Michelangeli konfisziert, nachdem er sich zu spielen geweigert hatte. Um den Affront wiedergutzumachen und nicht für
alle Zeiten in Japan als persona non grata zu gelten, hatte Martha
zwei Möglichkeiten: Entweder sie bezahlte eine hohe Konventionalstrafe, oder sie kehrte für einen Gratisauftritt zurück. Im Jahr darauf gab sie innerhalb von vier Wochen vierzehn Konzerte am Stück (viel mehr, als sie geben musste), ohne auch nur einen einzigen Yen zu verlangen. Noch dazu stellte sie keine Reisekosten in Rechnung. Eine wahrhaft königliche Geste!
    Wenn man so will, haben die Japaner Martha domestiziert. Sie haben die Unbezähmbare gezähmt. Doch sie hatte die freie Wahl, die Entscheidung lag allein bei ihr selbst. Allerdings hatte sie sich, um ihren Unmut zu demonstrieren, eine besondere Form der Rache ausgedacht, indem sie auf Schritt und Tritt einen Brasilianer angolanischer Herkunft im Schlepptau mit sich führte, der ihr als Mädchen für alles diente: eine Art »Brüno«, dürr wie ein Gerippe, über und über mit Klunkern behängt, mit hautengen Shorts und behaart wie ein Affe, der in Japan gleichsam den Gipfel der Obszönität darstellte. Doch als gute Spieler hatten die Japaner keine Miene verzogen. Dieser gegenseitige Respekt hat eine Freundschaft und ein Vertrauen begründet, die unvergänglich sind.
    Shoji Sato ist seit 1976 der japanische Agent der Pianistin. Martha schätzt ihn sehr, denn er ist jedes Mal so klug, ihr verschiedene Möglichkeiten anzubieten, ohne sie in die eine oder andere Richtung zu drängen. Er arbeitet für Masa Kajimoto, den Inhaber einer der beiden größten japanischen Konzert-
direktionen, die sich besonders um das Festival La folle Journée (Days of Enthusiasm Music Festival) in Japan kümmert. Gleich zu Beginn hatte Kajimoto zu ihm gesagt: »Wenn sie absagt, ist das allein Ihr Problem.« Aber Shoji Sato hat nie irgendwelche Schwierigkeiten mit ihr gehabt. Wenn Martha mit ihren Töchtern nach Japan kam, hat er sich um alles gekümmert, nicht zuletzt darum, mithilfe seiner Frau das Baby Stéphanie zu füttern. Sato kann sich noch gut an das Programm von Marthas erstem Recital 1976 erinnern: die Préludes von Chopin, Gaspard de la Nuit von Ravel, die h-Moll-Sonate von Liszt … Sie kehrte oft zurück – als Solistin oder aber zusammen mit Nelson Freire, Gidon Kremer, Charles Dutoit. Und dann jedes Jahr wieder, nachdem das Festival von Beppu ins Leben gerufen worden
war.
    Als Friedrich Gulda 2000 starb – genauer gesagt: am 27. Januar, dem Geburtstag Wolfgang Amadeus Mozarts –, wollte Martha unbedingt an der Beerdigung ihres Mentors teilnehmen. Sie war jedoch für Chopins Klavierkonzert Nr. 1 in Tokio, unter Leitung von Vladimir Ashkenazy, gebucht. Shoji Sato kam
sie in Brüssel abholen, um mit ihr zu den Begräbnisfeierlichkeiten nach Österreich zu fahren. Anschließend nahmen sie den ersten Flug der All Nippon Airways zurück nach Tokio: Martha kam zwar zu spät zur Probe, aber rechtzeitig zum Auftritt – ihrer Meinung nach hat sie das Stück in ihrer ganzen Karriere nie besser gespielt. Zu Guldas fünftem Todestag, am 27. Januar 2005, kehrte sie für einen Auftritt ihm zu Ehren nach Tokio zurück. Sie hatte zugestimmt, zu diesem außergewöhnlichen Anlass Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 zu spielen. Doch im letzten Moment bekam sie Angst und Skrupel vor jenem Werk, das sie schon immer eingeschüchtert hatte, und begnügte sich mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll .
    1995 gründete Martha ihr eigenes Festival in Beppu, einem bedeutenden Badeort mit knapp viertausend Thermalquellen im Süden Japans. Die Vielfalt der Quellen fordert die Fantasie heraus: kochend heiße Schlammlöcher, dampfende Geysire, heulende Höhlen, rote Lavaseen, heiße Sandbäder. Einer der Therapiedurchläufe trug den Namen »Höllentour«, was ihren abenteuerlustigen Geist einmal mehr inspirierte.
    Während des zweiwöchigen Festivals spielt sie jeden Abend mit ihren Getreuen, den alten Freunden und jungen Pianisten. In Beppu trat sie auch zum ersten Mal wieder als Solistin auf und brach damit das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte. Auf dem Programm: Schumanns Fantasie und die Klaviersonate Nr. 3 von Chopin. Man sieht daran, wie wohl sie sich gefühlt haben muss.
    Im ersten Jahr hatte Kyoko Ito, die Leiterin des Festivals, sie dazu überreden können, eine Meisterklasse zu geben. Martha hatte

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