Martha im Gepaeck
gelangweilt glotzenden Autofahrern zugesehen hatten. Die Blamage, wenn sie zum Beispiel ihr Fenster einfach nicht runtergelassen hätte. Aber hatte Bernd sich davon abhalten lassen? Nein. Unbeirrt wie ein Jedi-Ritter war er zu ihrem Auto marschiert, mit hochgekrempelten Ärmeln und diesem sympathischen Lächeln im Gesicht. Ich muss dich jetzt einfach ansprechen.
Karen zerrte ihr Handy heraus, um Mike eine gepfefferte Antwort zu schreiben, doch dann ließ sie es sinken. Das war albern. Sie war schließlich verheiratet. Mit Bernd – der alles klaglos mitmachte, der Teresas Glauben an das Monster gerettet und alle Eskapaden von Martha ertragen hatte, der Überstunden schob, damit sie alle in den Urlaub fahren konnten, und dessen Komplimente unbeholfen und selten, aber dafür ehrlich waren. Den sie doch immer noch liebte. Oder?
Sie stopfte das Handy zurück in die Tasche. Scheiß auf Mike! Und jetzt würde sie verdammt noch mal ihren Urlaub genießen. Aber vorher musste sie noch die Toilette finden. Sie stolperte im Halbdunkel des engen Ganges über eine Stufe, fluchte und hielt sich erschrocken am Erstbesten fest, das ihre Finger zu fassen bekamen. Irgendein Spiegel oder so etwas. Sie rappelte sich hoch und zog ihn wieder gerade. Sie runzelte die Stirn. Es war ein Gemälde, das einen Mann in voller Schottentracht zeigte. Abgesehen von dem roten Rauschebart, sah er John ziemlich ähnlich, obwohl das Bild garantiert älter als er war. Der Kilt des Mannes war rotgrün kariert. Und es gab keinen Zweifel, worum es sich hierbei handelte, denn es stand groß und breit daneben auf einem Schild: Stolz, ein MacGregor zu sein . Ein Wappen war darauf zu erkennen. Es zeigte einen Löwenkopf, um den sich ein Spruch auf Gälisch schlängelte: S RIOGHAL MO DHREAM. Karen beugte sich neugierig vor, um die winzige Übersetzung daneben erkennen zu können: MacGregor – Königliches Blut fließt in unseren Adern.
Der Dudelsackspieler vom Parkplatz kam ihr auf einmal in den Sinn. Sein rotgrün karierter Schottenrock, die Kniestrümpfe, das kleine Felldings vor den Lenden, wie hieß es gleich noch mal, Sporrett? Sporran. Und Martha hatte damals behauptet, dass der Typ vom Clan der MacGregors abstammte … Ging das schon wieder los?
»Bernd«, rief sie schwach.
22 »Warum soll er denn kein MacGregor sein?«, hatte Bernd auf dem Nachhauseweg gefragt. »MacGregor ist hier wahrscheinlich so ein Name wie Müller oder Schulze bei uns. Hier stammen doch alle von irgendwelchen Clans ab. Und sind stolz darauf. Er ist eben stolz darauf, dass er angeblich von diesem Rob Roy abstammt, obwohl ich persönlich da ja so meine Zweifel habe. Das denkt wahrscheinlich die Hälfte aller Schotten. Ist ja auch glamouröser, von einem Nationalhelden abzustammen, als vom dicken Dorfwirt, der immer das Bier gepanscht hat.«
»Ja sicher«, hatte Karen verwirrt zugestimmt. Es war schon richtig. »Es ist nur so …« Sie wusste selbst nicht, worauf sie hinauswollte. John MacGregor hatte ja sofort zugegeben, dass seine Vorfahren dem MacGregor-Clan angehört hatten. Und natürlich hatte er gleich erwähnt, dass dies der Clan von Robert MacGregor, genannt »Rob Roy«, war – ein Clan, der von königlichem Geschlecht abstammte, wenn man John Glauben schenken konnte. Das erklärte auch den Löwen mit dem königlichen Blut. John hatte ihnen weiterhin erklärt, dass alle Schotten, nein, alle Menschen auf der ganzen Welt, die den Nachnamen MacGregor trugen, theoretisch das Recht hatten, sich als dem Rob-Roy-Clan zugehörig zu bezeichnen. Trotzdem.
Karen hatte nicht lockergelassen. »Findest du es nicht komisch, dass Martha so von diesen MacGregors besessen ist? Und von Rob Roy? Das ist doch irgendwie unheimlich.«
»Sie interessiert sich eben für Schottland. Immerhin hat sie eine Weile in Großbritannien gelebt. Und ihr Whisky-Geschmack ist top, da kann man nichts sagen.«
»Ja, schon. Aber immer wieder Rob Roy … Wieso gerade der? Ich weiß nicht mal, ob sie den Film über Rob Roy gesehen hat. Bestimmt nicht. Sie macht sich nicht viel aus Filmen. Die Schauspieler sehen heutzutage alle gleich aus, behauptet sie immer.«
»Tja, warum sind Frauen von toten Legenden besessen? Das darfst du mich nicht fragen. Meine Mutter ist immer noch in Elvis verknallt, obwohl der schon ewig tot ist. Ist doch auch egal. Wir haben einen echten schottischen Clanmann kennengelernt, Mensch. Wer hat schon jemals dieses Vergnügen? In deine Bank ist sicher noch keiner gekommen und
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