Martha im Gepaeck
und schüttelte unmerklich den Kopf. Der Mann namens John winkte ohnehin nur lachend ab. Sie steuerten zurück in den Eingangsbereich, wo John auf einen Tisch wies, an dem sie Platz nehmen konnten. Pfeifend lief er zu den offenen Flaschen und wählte eine aus.
»Single Malt, 12 Jahre alt. Damit fangen wir an.«
»Gute Wahl.« Bernd reckte erwartungsvoll den Hals.
Karens Handy summte in der Handtasche. Sie schielte kurz darauf. Es war nicht zu fassen. Jetzt schickte Mike ihr auch noch eine SMS !
John setzte sich zu ihnen und goss in jedes Glas einen Fingerbreit Malt. »So viel«, sagte er, »bekommen die Leute normalerweise. Aber weil heute so ein schöner Tag ist, ich nicht gern alleine trinke und Sie aus Deutschland kommen, das ich sehr liebe, bekommen Sie die John-Version.« Er goss doppelt so viel in jedes Glas. »Prost! Das sagt man doch so bei Ihnen, nicht wahr?«
»Prost«, erwiderte Bernd begeistert. »Und herzlichen Dank.«
Das Handy summte nervend und penetrant. Kannst du bitte noch mal zurückrufen? Das Display mit der SMS leuchtete giftgrün wie ein kleiner feindlicher Planet aus Karens Handtasche heraus. Karen schaltete das Handy aus und griff nach dem Glas.
»Flüssiges Gold«, sagte John bedächtig. »Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.« Er schob seine heruntergerutschte Brille wieder hoch und hob sein Glas.
»Prost«, sagte Karen.
Und dann kippte sie das flüssige Gold in einem Schluck hinunter.
Wenig später hatten sie auch noch den 18 Jahre alten Glenlochlin gekostet (in der John-Version) und den French Oak Reserve (ebenfalls in der John-Version, zweimal), der irgendwie die Krönung darstellte, soweit Karen das mitbekam. Sonderlich viel bekam sie nicht mehr mit. Allerdings fragte sie sich, warum sie eigentlich zu Hause nie Whisky trank. Das Zeug war gut, unheimlich gut. Wohltuend. Es ließ alles in einem surrealen Glanz erscheinen, diese herrliche Atmosphäre hier, die alten Fässer, Bernd neben ihr, der hemmungslos flüssiges Gold in sich hineinschüttete, unter dem Tisch ab und zu die Hand auf ihr nacktes Bein legte und mit John mittlerweile über deutschen Fußball und Autos diskutierte. Mit jedem Schluck, den Karen trank, erschien Mikes Anruf bedeutungsloser, mit jedem Schluck bröckelte ihre schlechte Laune. John hatte Karen vorhin »bonnie lass« genannt, was »hübsches Mädchen« bedeutete und irgendwie aufregend und fremd zugleich klang, und allemal besser als: Kollegin Thieme bitte ans Telefon . So etwas sagte John ja sicher nicht ohne Grund, oder? Gut, dass sie sich doch noch umgezogen hatte. Dieses Kleid war ein Geschenk des Himmels. Und sie würde es in der Bank anziehen, sollten die Leute doch denken, was sie wollten. Martha hatte völlig recht. Wo stand geschrieben, dass man sich zum Arbeiten nur in hässliche Hosenanzüge zwängen durfte? Auf Mikes verdatterten Gesichtsausdruck freute sie sich jetzt schon. Dann würde er begreifen, was ihm entgangen war. Zu spät, Baby. Sie kippte noch einen Schluck hinunter. Es brannte in ihrem Hals, aber auf eine angenehme, sanfte Weise, die sofort ihren ganzen Kopf in Beschlag nahm.
»Gut?«, fragte John.
Statt einer Antwort schloss Karen genießerisch die Augen. Ewig hätte sie hier sitzen bleiben können. Aber leider meldete sich ihre Blase. »Sorry.« Karen stand auf, merkte, dass sie leicht wankte, und ging bemüht gerade an den Vitrinen vorbei zur Toilette. Wieder kam sie an dem Schwarzweißfoto mit der eleganten Dame vorbei, und jetzt, als sie intensiv daraufstarrte, damit dieses lästige Drehen um sie herum endlich aufhörte, fiel Karen etwas auf. Diese Ähnlichkeit. Der Mann mit der Zigarette auf dem Bild … Das war doch John. John, der Verteiler der John-Versionen und Bernds neuer bester Freund. Eindeutig! Sie beugte sich blinzelnd vor. Er hatte mal verdammt gut ausgesehen – muskulös und irgendwie sexy. Wie er die zierliche Frau mit der Sonnenbrille mit seinen Armen umschlang, das hatte was. Garantiert war er nicht so ein Weichei wie Mike, der den ganzen Tag lang krumm wie ein Komma über seinem Schreibtisch hing und an Energy-Drinks nuckelte, als wäre er ein magersüchtiges Model. Sein Aftershave war auch zu aufdringlich. Karens Wut stieg wieder in ihr hoch. Wo gab’s denn so was – er hatte noch nicht mal genug Courage, eine Kollegin zu fragen, ob sie ihn widerwärtig fand oder nicht. Wenn man dagegen Bernd nahm – der hatte nicht lange gefackelt, sie, Karen, anzusprechen. Obwohl Hunderte von
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