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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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erschien vor ihnen.
    »Boah, echt jetzt?«, rief Mark von hinten. » Hier willst du die Meerjungfrau hinschaffen? Na, die werden sich freuen.« Er schnaufte belustigt. »Die macht sich gut hier.«
    »Ich will nicht, dass sie hierbleibt.« Teresa würdigte das Haus mit keinem Blick. »Hier ist niemand. Da ist sie ganz alleine und langweilt sich.«
    Keiner antwortete. Bernd fuhr andächtig den knirschenden Kiesweg entlang, und Karen verschlang die Umgebung mit den Augen. Glen Manor war so groß wie die teure Privatschule in der Nähe von Köln, in der Dr. Albrecht seine einjährige Tochter bereits angemeldet hatte. Allen im Büro hatte er den Prospekt gezeigt, ob sie ihn sehen wollten oder nicht.
    Das Haus war weiß, hatte ein graues Schieferdach mit einer Menge kleiner runder Türmchen darauf und stand würdevoll inmitten des großen Parks. Niemand war zu sehen und außer Vogelgezwitscher und dem Knirschen der Reifen war auch nichts zu hören. Es gab vier Stockwerke. Die Fenster in der zweiten Etage waren mindestens dreimal so hoch wie die in ihrer Wohnung zu Hause und in kunstvoll geschnitzte Rahmen eingefügt. Das Haus übertraf selbst noch Karens kühnste Tagträume. Sie schluckte unwillkürlich. Was hatte sie in ihrem Leben nur falsch gemacht? Doch diese Frage wurde sofort von der momentan viel bedeutenderen verdrängt: Was hatte Martha hier vor? Ein Altersheim war es jedenfalls nicht, dann hätte man irgendein Schild sehen müssen. Und Pflegepersonal, das Leute im Rollstuhl durch den Park schob. Oder Leute mit Stock, die im Bademantel herumliefen, sich auf Bänken ausruhten und Tauben fütterten.
    Bernd fuhr auf den Parkplatz vor dem Haus und hielt an. Er drehte sich zu Martha um. »Und nun?«, fragte er.
    Martha schnallte sich ab. »Nun gehen wir da rein.«
    Bernd wies auf die breite Steintreppe, die zu den massiven Doppeltüren führte. »Da rein? Martha, wir können doch nicht einfach da reingehen.«
    »Natürlich. Siehst du nicht, dort?« Sie deutete auf ein pfeilförmiges Schild aus Pappe, das an einen Baum genagelt war und zum Seiteneingang wies. Die Schrift darauf war verwischt und kaum zu erkennen: Besucher bitte zum Seiteneingang.
    »Der Hammer hier.« Mark sprang aus dem Auto. »Der Irrgarten ist hinter dem Haus, den habe ich schon im Internet gesehen. Gehen wir dahin? Wir könnten einen Wettkampf machen, wer zuerst herausfindet.« Sein Gesicht verzog sich zu einem frohlockenden Grinsen. »Es muss dann natürlich jeder alleine gehen.«
    Bernd knallte die Tür des Vans zu. »Nichts da. Jetzt liefern wir Tante Marthas Dingsbums erst mal ab, und dann sehen wir weiter. Wir wissen doch gar nicht, ob man da reindarf.« Er drehte sich um. »Karen?«
    »Komme.« Karen stieg ebenfalls aus. Sie wünschte sich jetzt, dass sie sich ein bisschen passender angezogen hätte. Kein Wunder, dass Martha sich so aufgebrezelt hatte. Das war ja ein halbes Schloss. Warum hatte sie nur nichts gesagt? Jetzt musste Karen sich mit ihren Plastik-Clogs durch den Kies wühlen und an der Seitentür klingeln, als ob sie ein Zeitschriften-Abo verkaufen wollte. Und dann noch diese peinliche Holzfigur, die sie hier abgeben mussten …
    »Soll ich die Meerjungfrau gleich rausholen?«, fragte Bernd. Er öffnete den Kofferraum, um die Sitze in der letzten Reihe von hinten herunterzuklappen.
    Martha winkte ab. »Das hat Zeit. Hier geht’s lang.«
    »Bist du sicher?«, rief Karen, aber Martha antwortete nicht. Sie marschierte flott auf dem Kiesweg zur linken Seite des Hauses. Dort stand ein kleines Gartenhäuschen, und davor lag jemand in einem Liegestuhl und las ein Buch.
    »Guten Tag«, grüßte Martha.
    »Das gibt’s doch nicht«, entfuhr es Karen. Denn die Person, die sich da auf dem Liegestuhl lümmelte, war niemand anderes als das kurzhaarige Mädchen aus der Destillerie von gestern Abend. Heute trug sie ein gepunktetes Top und ein passendes Haarband. »Was macht die denn hier?«
    »Wollen Sie die Tour machen?«, rief das Mädchen ihnen zu. Es sprang auf und ließ dabei das Buch fallen. »Oh.« Sie hob es auf. Karen erhaschte einen Blick auf den Buchumschlag. Er zeigte einen Vampir mit traurigen Augen, der den Hals einer blonden Schönheit liebkoste.
    »Wollen wir die Tour machen?«, wiederholte Bernd neben Karen. Er runzelte die Stirn. »Ist das jetzt ein Déjà-vu?« Er massierte sich kurz die Schläfen, als ob er seinen Kopf zur Ordnung rufen wollte. »Ist es wieder die letzte Tour des Tages?«, rief er dem Mädchen zu.
    Ihr

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