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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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hindurchzugleiten wie unsichtbare Nebel, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen? So wie modische Details und Neuigkeiten aus der Welt der Stars sich vergeblich um Zugang zu Bernds Gehirn bemühten?
    Sie gingen einen gepflasterten Weg entlang, der zu einem kleinen malerischen Innenhof führte. Efeu rankte an einem der Nebengebäude empor. Drei Angestellte in blauen Monturen liefen über den Hof und grüßten freundlich. Bereits beim Aussteigen hatte Karen den feinen Whiskygeruch bemerkt, der hier in der Luft hing. Sie atmete tief ein. Seit dem verdammten Telefonat verspürte sie den starken Wunsch nach etwas Hochprozentigem, etwas Betäubendem. Vor Bernd hatte sie so getan, als ob man sie selbst im Urlaub mit Bankangelegenheiten behelligte, was er eine Frechheit fand. Er hatte sie beruhigend in die Arme genommen, weil sie vor Wut gezittert hatte, und das hatte alles noch schlimmer gemacht, denn jetzt schämte sie sich noch tausendmal mehr.
    Im altmodischen Eingangsbereich der Glenlochlin Destillerie konnte man allerhand Gerätschaften bewundern: Vitrinen mit historischen Fotos, auf denen Männer in Schottenröcken stolz vor ebendieser Destillerie standen, sowie allerlei Souvenirs und natürlich endlos viele Flaschen in allen Größen. Zum Teil waren sie schon angebrochen und von Gläsern umrandet.
    »Paradiesisch«, sagte Bernd. Er fotografierte eine Reihe bauchiger Flaschen, deren bernsteinfarbener Inhalt verlockend funkelte. »Einfach nur wundervoll.«
    »Wollen Sie noch eine Tour mitmachen? Es fängt gleich die letzte des Tages an.« Ein junges Mädchen mit fransiger Kurzhaarfrisur, Shorts und einem gestreiften T-Shirt tauchte hinter einer Vitrine auf. Sie war kaum älter als Mark.
    »Auf jeden Fall.« Bernd holte sein Portemonnaie heraus, kaufte der Kleinen zwei Tickets ab und ließ sich von ihr in rollendem Schottisch erklären, dass sie hier auf die anderen Besucher warten sollten. Dann verschwand das Mädchen wieder. Bernd und Karen betrachteten eine Weile die Schaukästen. Die Destillerie gab es bereits seit 1886 , und seitdem bezog sie Wasser aus einer mineralreichen Quelle ganz in der Nähe. Karen schwirrte schon nach wenigen Minuten der Kopf. Alle diese Superlative. All diese »reinsten«, »köstlichsten«, »ursprünglichsten«, »rauchigsten«, »elegantesten« und »besten« Qualitätsmerkmale, die dieser Whisky offenbar besaß. Sie wandte sich lieber den historischen Schwarzweißfotos zu. Karen hatte eine Schwäche für alte Aufnahmen. Damals hatte man Fotografieren noch ernst genommen, sich würdig der Kamera zugewandt und keine Fratzen geschnitten, Hasenohren über den Vordermann gehalten oder den Mund lachend so weit aufgerissen, dass einem die Nachwelt bis in die Luftröhre gucken konnte. Damals besaßen Männer noch Manieren – nicht wie gewisse Typen heutzutage, die einem den Urlaub mit ihren egoistischen Anrufen vermasselten – und Frauen noch Stil, wie die elegante Dame auf einem der Fotos, die neben einem Mann im hellen Anzug stand. Sie mit großer Sonnenbrille und Twinset, er mit einem Hut auf dem Kopf und einer Zigarette im Mund.
    »Karen?« Bernd räusperte sich hinter ihr. »Es ist immer noch keiner da.«
    Karen sah hoch. »Hm?«
    »Es kommt keiner mehr. Keine Besucher, meine ich. Aber auch niemand, der hier arbeitet. Was machen wir jetzt?«
    »Wo ist denn das Mädchen?«
    »Nach Hause gegangen, wie’s aussieht.«
    »Glaub ich nicht. Hier wird doch sicher nachts abgeschlossen. Die ganzen Flaschen und so.« Karen deutete auf ihre Umgebung.
    »Seltsam.« Bernd scharrte unruhig mit den Füßen. »Vielleicht hat sie uns nur veralbert?« Er betrachtete misstrauisch die beiden Tickets.
    »Du meinst, ich habe mich ganz umsonst schick gemacht?« Vor lauter Wut über Mike hatte Karen sich richtig in Schale geschmissen, als ob sie vorhätte, heute Abend in Glenlochlin den Cancan zu tanzen.
    »Wieso?« Bernd musterte sie. Ihm schien zu gefallen, was er sah. »Bin ich etwa niemand?«
    »Entschuldige.« Karen wurde ein bisschen verlegen. »Natürlich nicht.« Ach, Bernd. Wie unmöglich war sie nur. Trauerte hier heimlich Mikes Hintern nach.
    Ein trockener Husten erklang hinter ihnen. Sie drehten sich um.
    »Good afternoon« , rief jemand. Aus einer Tür kam ein hemdsärmeliger, hochgewachsener Mann, die schwarzen Hosen mit Hosenträgern fixiert, eine Brille weit vorn auf der Nase. Ein weißer Haarkranz schmückte seinen ansonsten kahlen Kopf, und er hatte die gesunde Hautfarbe eines Menschen,

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