Martha im Gepaeck
der sich viel im Freien aufhielt. Obwohl er schon ziemlich betagt war, stand er aufrecht und bewegte sich erstaunlich flink.
»Ach, gut«, sagte Bernd erleichtert. »Wir sind wegen der Tour hier.« Er reichte dem Mann zum Beweis die Tickets, die schon ganz feucht geknetet waren.
»Wunderbar«, sagte der alte Mann erfreut, als habe er den ganzen Tag auf die Thiemes gewartet. Den Tickets schenkte er keine Beachtung. »Ganz ausgezeichnet. Dann fangen wir gleich mal an. John ist mein Name. Kommen Sie aus Holland?«
Bernd lächelte geschmeichelt, wie immer, wenn jemand seinen Akzent als undeutsch einstufte. Vor zwei Jahren hatte ihn jemand in Italien mal für einen Dänen gehalten, und Bernd hatte es nicht versäumt, diese Tatsache bei Urlaubsberichten Freunden gegenüber immer wieder zu erwähnen. »Aus Deutschland.«
»Aha«, sagte der Mann. Er musterte sie eine Sekunde lang und schwenkte dann nach links, um durch dieselbe Tür zu verschwinden, durch die er eben hereingekommen war. Karen folgte ihm in eine Halle, in der riesengroße Bottiche standen.
»Die Maischefässer der Glenlochlin Destillerie «, erklärte der Mann feierlich. »Bevor die Gerste hier drinnen vergoren wird, wird sie befeuchtet und dann mit heißem Rauch wieder getrocknet, damit sie einen rauchigen Geschmack bekommt. In den Bottichen findet dann der Gärprozess statt. Das Wasser dazu entnehmen wir unserer Mineralquelle hinter dem Grundstück, und das schon seit 1886 . Das reinste, klarste Wasser, das man sich nur denken kann. Es gibt unserem Whisky den unverwechselbaren Geschmack.« Er hielt kurz inne. »Haben Sie unseren Whisky denn schon einmal gekostet?«
»Leider nein«, erwiderte Bernd. Seine Augen glänzten voller Vorfreude.
»Holen wir gleich nach«, sagte der Mann. »Deswegen sind Sie ja hier, nicht wahr?« Er lachte polternd.
»Seit 1886 .« Karen sah sich bewundernd um. »Schon so lange.«
Der Mann namens John nickte. »Mein Urgroßvater hat die Destillerie gegründet. Anfangs war das alles hier nur ganz klein. Ein Zeitvertreib. Und natürlich diente die Destillerie hauptsächlich dazu, immer einen eigenen Vorrat an Whisky im Haus zu haben. Meine Vorfahren waren keine Teetrinker.« Er lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. »Heutzutage ist die Destillerie allerdings unsere Rettung, weil …« Er brach ab. »Nun ja. Hier in den kupfernen Destillen werden die Alkohole getrennt, sie haben unterschiedliche Siedepunkte, wie Sie bestimmt wissen.«
»Genau«, sagte Karen. Sie verstand nur Bahnhof. Chemie hatte sie immer gehasst. Dieser ekelhafte Geruch nach Säure und Verbranntem, gepaart mit der infantilen Begeisterung des Chemielehrers, wenn sich irgendwas im Reagenzglas blau verfärbte, und der Blödheit ihrer Banknachbarin, die Karen mal mit dem Bunsenbrenner den Pony angesengt hatte.
Der Mann hob den Finger. »Der erste und letzte Alkohol ist immer schlecht, wissen Sie. Die hohe Meisterschaft der Whiskyherstellung liegt darin, den guten Alkohol aus der Mitte herauszufiltern. Das muss man riechen und testen, das kann nicht jeder. Aber wir, das wird Sie freuen, haben es perfektioniert.«
»Sehr gut«, sagte Bernd. »Freut mich zu hören.«
Der Mann bewegte sich wieselflink durch den Raum und trat durch die nächste Tür in eine offene Lagerhalle, wo unzählige Holzfässer auf großen Regalen nebeneinanderlagen wie in einem Schuhgeschäft. »Wir lagern den Whisky in Eichfässern. Die kaufen wir für teures Geld von spanischen Weinproduzenten. Da war nämlich vorher spanischer Sherry drin. Und warum tun wir das wohl?« Er zog verschmitzt die Augenbrauen hoch.
»Ja, warum wohl?«, wiederholte Karen mechanisch. Sie fühlte sich von Minute zu Minute ungebildeter. Sie trank nie Whisky und über dessen Herstellung hatte sie sich in ihrem ganzen Leben noch keine Gedanken gemacht.
»Weil es den Geschmack verbessert?«, riet Bernd.
»Jawohl, mein Freund!« Der alte Mann klopfte Bernd begeistert auf den Rücken. »Endlich hat mal jemand Ahnung. Die Sherryfässer geben einen lieblichen, süßen Geschmack an den Whisky ab.« Er schloss genießerisch die Augen. »Und das, meine Damen und Herren, werden Sie sogleich selbst erleben.«
Karen sah sich unauffällig um. Außer ihnen war keiner da.
»Sonst keiner da«, sagte nun auch der Mann erstaunt. Er schien es erst jetzt zu bemerken. »Umso besser. Dann gibt es mehr für Sie beide.«
»Oh, ich trinke nur ganz wenig«, wies Karen ihn zurück, aber Bernd knuffte sie leicht in die Seite
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