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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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hat Geld abgehoben, und auf meinen Baustellen laufen die auch nicht in Hundertschaften herum. Und den besten Whisky Schottlands haben wir auch getrunken. Gleich morgen fahre ich noch mal hin und hole ein paar Flaschen zum Mitnehmen.«
    Karen hatte es aufgegeben, ihre Gedanken ließen sich nicht mehr richtig fassen und schon gar nicht artikulieren. Sie hatte sich auf einmal todmüde gefühlt. Wie ein Stein war sie auf das hohe, quietschende Bett gefallen und in einen Tiefschlaf versunken, aus dem sie jetzt, um 5 . 00  Uhr früh, verschreckt und verschwitzt wieder erwachte. Hinter ihrer Stirn pulsierte es unangenehm, ihr Mund war trocken. Sie hatte wirres Zeug geträumt. Ein junger John MacGregor hatte sie im Traum immer wieder »bonnie lass« genannt und ihr unbedingt ein kariertes Schultertuch umhängen wollen. Als sie sich gewehrt hatte, war John MacGregor plötzlich zu einem sprechenden Schwarzweißfoto geworden, das von Martha zersägt wurde. Die hatte dabei vergnügt gelacht.
    »Mein Gott«, murmelte Karen. Sie schob die Häkeldecke weg und stand auf, um ein Glas Wasser zu trinken. Vom Fenster aus konnte sie den Van in der aufgehenden Sonne glänzen sehen. Die Meerjungfrau stand treu und brav in der letzten Reihe und wartete auf ihr Schicksal. Fast verspürte Karen einen Hauch von Wehmut, dass sie die Figur heute zum letzten Mal herumfahren würden. Sie gehörte nun doch beinahe mit zur Familie, und an den dumpfen Geruch im Auto hatten sich mittlerweile alle gewöhnt. Karen trank noch ein Glas Wasser. Das flüssige Gold hatte ihr ganz schön zugesetzt. Sie gähnte und kroch wieder unter die Häkeldecke.
    »Jetzt da rechts in die Straße rein.« Es war so ziemlich das Erste, was Martha heute sagte. Weder hatte sie groß auf Bernds enthusiastischen Bericht über die Destillerie reagiert noch Karens Holzhammer-Andeutungen zur Kenntnis genommen, dass sie beide gestern Abend einen Rob-Roy-Abkömmling getroffen hatten. Es schien alles an Martha abzuprallen – Teresas Gejammer darüber, dass sie die Meerjungfrau nie wiedersehen würde, Marks Beschwerden über die lauwarme Tröpfeldusche, den uralten Fernseher in der Hotel-Lobby, den klebrigen Haferbrei und die geräucherten Bücklinge, die man ihnen zum Frühstück serviert und die Martha nicht angerührt hatte, ja selbst Karens Komplimente darüber, dass Martha heute so nett aussah. Sie wirkte richtig elegant, obwohl es in dem Pack Horse Hotel natürlich keinen Friseur gegeben hatte. Aber der Schottenrock, die weiße Bluse, ein bisschen Puder und Lipgloss sowie ein wacher Blick verliehen Martha einen Touch von altersloser Würde und Eleganz. Um den Hals trug sie heute eine kleine silberne Kette, an der ein Anhänger baumelte, der verdächtig wie ein Wappen aussah. Mit einem Löwen? Karen musste sich zwingen, nicht dauernd daraufzustarren. Wahrscheinlich war es kein Wappen, sondern ein Kleeblatt. Ein Glücksbringer. Wahrscheinlich war Karen noch verkatert.
    »Hier«, sagte Martha und zeigte auf einen Wegweiser am Straßenrand. Glen Manor – vier Meilen stand darauf.
    Ein kollektives Luftholen ging durch das Auto. Sogar Mark und Teresa hörten auf, sich zu streiten, und wurden still.
    »Na dann«, witzelte Bernd. »Bringen wir’s hinter uns.« Die Straße war jetzt nicht mehr asphaltiert und wurde immer holpriger. Schlaglöcher schüttelten die Thiemes durch. Karen verkniff sich die Frage, ob sie hier wohl richtig waren. Sie hatte das Schild ja selbst gesehen. Die Schlaglöcher verschwanden und wurden erst von staubiger Erde und dann von Kies abgelöst. Bäume wuchsen auf der linken Seite, und rechts begann eine niedrige Steinmauer, die bis zu einem großen schmiedeeisernen Tor führte. Es stand sperrangelweit offen. Dahinter fing sattgrüner englischer Rasen an, an dem sich der Kiesweg gemächlich entlangschlängelte. Die Bäume waren hier alt und stämmig und bildeten mit rund gestutzten Büschen und vereinzelten Steinfiguren eine Parklandschaft.
    »Hier?«, fragte Bernd verblüfft. »Das ist es?« Er verlangsamte das Auto auf Schritttempo. Karen blickte sich um. Das hier sah edel aus. Durften sie da überhaupt einfach so reinfahren? Oder würde ein zorniger Gutsbesitzer jeden Moment seine Jagdhunde auf sie hetzen?
    Martha nickte. »Das ist es«, sagte sie. »Man kann Glen Manor besichtigen, mach dir mal keine Gedanken.«
    »Bist du sicher?«, fragte Karen nervös, doch dann verschlug es ihr erst mal die Sprache, denn der Van bog um eine Ecke und das Manor

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