Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
Vom Netzwerk:
einer Fuchsjagd darstellten.
    »Er war nie verheiratet, hat er gesagt. Und sie hat immerhin ein paar Jahre hier gewohnt. Jahre, Bernd, nicht nur Tage!«
    Bernd zuckte mit den Schultern. »Sie wird schon ihre Gründe gehabt haben. Aber ich finde es auch schade, dass sie davon so lange nichts hat verlauten lassen. Sonst hätte man doch schon längst mal herkommen können.« Er sah anerkennend zu der Stuckdecke hoch. »Das ist noch richtiges Handwerk. Bisschen zugig alles und muss mal ordentlich renoviert werden, aber sonst …« Er pfiff bewundernd. »Nicht solche Fertighäuser wie bei uns heutzutage.«
    »Und was hat sie überhaupt in Schottland gemacht? Ich dachte, sie war mit diesem Lysander auf Tournee. Ehrlich gesagt, hab ich erst gedacht, die beiden waren mal ein Paar.«
    »Na, waren sie vielleicht auch. Deine Tante Martha war unter Umständen die große Herzensbrecherin der fünfziger Jahre. Du musst doch irgendwas davon mitbekommen haben als Kind.«
    Karen runzelte die Stirn. Sie dachte nach. »Nie. Ich frage mich langsam, ob die anderen überhaupt von Marthas Leben hier gewusst haben. Vielleicht hat sie nie jemandem verraten, was sie die ganze Zeit in Schottland und England gemacht hat. Irgendwann in den sechziger Jahren ist sie ja wieder zurück nach Deutschland gekommen.«
    »Frag sie doch einfach mal. Jetzt gleich.«
    »Das geht nicht. Sie ist bei ihm im Zimmer, schon seit einer ganzen Weile.«
    »Na, bestimmt haben sie sich eine Menge zu erzählen.«
    »Oder sie liest ihm aus dem Dekameron vor.« Der Satz war raus, noch bevor Karen sich zügeln konnte. Sie gluckste.
    Bernd fuhr herum. »Hat sie bei dir auch damit angefangen? Sie hat so ein komisches Gespräch mit mir geführt, im Motel bei Dwayne, du weißt schon.«
    »Ich hab euch gehört.« Karen wandte verlegen den Blick ab. »Ich stand vor der Tür.«
    Bernd stutzte. »Ach, wirklich? Du hast gelauscht?« Er grinste jetzt. »Wie eine Spionin?«
    »Hör auf.« Sie musste lachen. »Und außerdem war das nicht gerade schmeichelhaft, was ich da gehört habe.«
    »Der Lauscher an der Wand …«
    Karen griff nach einem der dicken Kissen, die auf dem Bett lagen, und warf es Bernd an den Bauch. Es rutschte ab und plumpste auf Teresa. Sie schnaufte leise im Schlaf.
    »Komm, wir wecken sie sonst noch auf. Hast du Lust, dir das Haus anzusehen? Oder einen kleinen Abendspaziergang durch den Park zu machen?«
    »Aber sicher.« Bernd hielt seinen Arm übertrieben galant hoch. »Mylady?«
    Karen fiel auf, dass er in den letzten Tagen richtig braun geworden war. Er sah erholt aus und trug den grauen Pullover aus Kaschmir, den sie ihm zu Weihnachten geschenkt und bislang noch nie an ihm gesehen hatte. Er wirkte darin ganz anders als sonst, passte richtig in diese Umgebung.
    »Was ist denn?«, fragte er.
    »Nichts. Du gefällst mir einfach.« Sie schnappte sich seinen Arm und konnte einen Moment lang die Muskeln unter dem feinen Wollstoff fühlen. »Mylord.«
    Sie schlichen durch das Haus, bemüht, keinen Lärm zu machen. Unten in der Ahnengalerie saß Mark auf einer Holzbank, Lindsey ziemlich dicht neben sich. Sie tuschelten miteinander, verstummten aber schlagartig, als sie Karen und Bernd erblickten. Es war Karen unbegreiflich, wie ihr Sohn, der bis vor kurzem noch nicht einmal in der Lage gewesen war, die Vergangenheitsform von » go « zu bilden, und der beim Vokabellernen regelmäßig das Englischbuch an die Wand schmiss, sich auf einmal problemlos verständigen konnte. Oder lauschte er nur dem, was Lindsey zu sagen hatte? Die rückte gerade unmerklich ein paar Zentimeter von Mark ab.
    »Guten Abend«, sagte sie höflich. »Wollen Sie auch den Geist des ersten Besitzers sehen? Er ist am Weihnachtstag 1898 an einer Kopfverletzung gestorben, weil der Arzt nicht rechtzeitig zu ihm kommen konnte. Er zeigt sich aber ungern vor Mitternacht.«
    »Ach, wirklich?«, sagte Karen. »Dann kommen wir vielleicht später noch mal wieder.«
    »Müsst ihr aber auch nicht«, presste Mark schnell auf Deutsch heraus. »Ich kann euch dann das Video zeigen.«
    »Das wäre nett«, antwortete Bernd höflich. Er stupste Karen an.
    »Video wäre gut.« Karen nickte. In einer dunklen Ecke unter der Treppe stand ein leerer Rollstuhl. Den hatte sie vorhin gar nicht bemerkt. Wem gehörte der? John MacGregor kam ihr nicht sonderlich gebrechlich vor, er schmiss ja noch die ganze Destillerie alleine, abgesehen von den drei, vier Angestellten. Merkwürdig.
    »Komm.« Bernd zwinkerte ihr so

Weitere Kostenlose Bücher