Martha im Gepaeck
Doppelbetts auf einer verblichenen rosa Samtdecke und schlief mit offenem Mund. Sie wirkte winzig wie ein kleiner Vogel. Eigentlich hatte sie ihr eigenes »Prinzessinnenbett« bekommen, gleich nebenan, aber dann war es ihr doch zu gruslig gewesen, in dem unbekannten Haus alleine zu schlafen.
Karen rieb sich die Augen. Sie war immer noch ganz benommen. John MacGregor hatte darauf bestanden, dass die Thiemes als Gäste in Glen Manor wohnen sollten. Als Karen verlegen abgelehnt hatte, war er fast wütend geworden. »Ich weiß doch, dass die Welt glaubt, wir Schotten wären geizig. Und ihr wollt dieses Vorurteil noch untermauern, indem ihr weiterhin in dieser Kaschemme übernachtet? Weil John MacGregor eure Familie angeblich nicht aufnimmt? Glaube mir, Karen, ich kenne den Besitzer des Pack Horse Hotel . Das ist kein sorgfältiger Mensch, wenn du verstehst, was ich meine. Letztes Jahr gab es da eine Wanzeninfektion. Von den Einheimischen geht niemand dort essen.«
Augenblicklich hatte Karens Haut angefangen zu jucken. Die Häkeldecke war ihr von Anfang an nicht ganz geheuer gewesen. Und Mark hatte ja ohnehin angekündigt, dass er lieber im Schlafsack in der Wildnis übernachten würde, als noch eine Nacht im Pack Horse Hotel zu verbringen. »Was meinst du?«, hatte Karen sich an Bernd gewandt.
Der hatte keine Sekunde lang gezögert. »Da fragst du noch? Hast du den herrlichen Park hier gesehen? Die ganze wundervolle Architektur? Natürlich bleiben wir hier. Es ist mir ja richtig peinlich, dass ich so ein miserables Hotel ausgesucht habe. Man sollte sich eben nicht auf einen Reiseführer verlassen. Das Ding ist total veraltet. Und von Glen Manor stand kein Wort drin. Nichts. Eine Unverschämtheit!«
Und so waren sie kurzerhand zum Pack Horse Hotel gefahren, hatten dort ihre noch nicht ausgepackten Koffer geschnappt, sich von dem leicht konsternierten Besitzer die Hotelrechnung geben lassen, bezahlt und waren ohne jegliche Sentimentalitäten schnurstracks zu John zurückgekommen.
Jetzt erst sickerte das ganze Ausmaß dieses Umzugs in Karens Bewusstsein ein. Sie würden den Rest ihres Urlaubes auf einem großartigen Landsitz verbringen. Hier gab es sogar eine Haushälterin, Mrs Warnock, die zwar einen schweren schottischen Akzent hatte, aber von enormer Effizienz und Freundlichkeit war. Auf einen Anruf von John hin war sie im Nu herbeigeeilt und hatte innerhalb kürzester Zeit ein beachtliches Dinner für ihn und seine Gäste gezaubert – Brokkolisuppe mit Cheddar, dazu Lachsauflauf mit Kartoffelbrei. Sogar Teresa hatte zugelangt. Normalerweise lebte sie mehr oder weniger von Nudeln mit Ketchup.
Karen öffnete ein Fenster und atmete den Geruch des lauen Sommerabends ein. Es gab hier einen Park, einen Irrgarten und sogar einen kleinen See hinter dem Haus, der zu Teresas Freude eine Entenfamilie beherbergte. Die Äste einer Trauerweide hingen fast bis ins Wasser hinein, spiegelten sich darin und erweckten den Eindruck, dass ein Zwillingsbaum unter der Wasseroberfläche heranwuchs. Dieser Ort war zu jeder Jahreszeit idyllisch.
Außer vielleicht die Ahnengalerie. Denn wenn man Lindsey Glauben schenken konnte, dann spukte es dort unten. Mark hatte auf diese Neuigkeit mit Begeisterung reagiert. Er wollte über Nacht aufbleiben, um den bleichen Urahnen mit Kopfverband zu filmen, der angeblich kurz nach Mitternacht durch das Haus taumelte und nach einem Arzt rief. Ob Lindsey an diesem Vergnügen teilnehmen würde, stand noch nicht ganz fest, aber vorsichtshalber hatte Mark seinen Eltern angedroht, die Fotos von ihrer letzten Silvesterfeier ins Internet zu stellen, falls sie Lindsey sein wahres Alter verraten würden. Lindsey war nämlich schon fünfzehn.
»Und all die Jahre hat Martha nichts von diesem John erzählt.« Karen zupfte die Decke glatt und schüttelte den Kopf. »Warum nur? Wie kann man denn all das so lange geheim halten? Da sitzt sie die ganze Zeit in ihrer Wohnung und wuselt vor sich hin, und er sitzt hier in diesem Haus und …« Sie brach ab und dachte nach. »Ich meine, es ist doch offensichtlich, dass sie sich noch mögen, meinst du nicht?«
»Wir wissen doch gar nicht, was da vorgefallen ist. Vielleicht haben sie sich ja wahnsinnig gestritten. Vielleicht hatte sie einen anderen. Vielleicht hatte er eine andere. Vielleicht musste er irgendeine jagdbesessene Landadelsfrau heiraten, du weißt doch, wie die hier sind.« Bernd deutete mit einem kurzen Nicken auf eine Reihe von Wandbildern, die Szenen
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