Martha im Gepaeck
in der Bibliothek?«
»Was meinst du, was es da sonst noch so alles gibt. Willst du’s nun hören oder nicht?«
»Okay.« Sie grinste.
Er klopfte neben sich auf die Decke. »Dann musst du aber ein bisschen näher kommen, sonst muss ich in diesem Riesenbett so schreien. Und du willst ja sicher alles ganz genau verstehen, wie ich dich kenne. Na?«
29 Karen folgte Bernd über die kleine Brücke, die am Ortseingang von Kingussie zu einem Golfplatz führte.
»Müssen wir hier lang?«, fragte sie. »Vielleicht ist das irgendein Club für reiche Snobs, den wir nicht betreten dürfen.«
»In Schottland ist Golf kein Sport für Reiche«, erwiderte Bernd. »Das ist Volkssport, wie bei uns …« Er stutzte. »Was ist eigentlich der Volkssport der Deutschen?«
»Fußball, oder? Keine Ahnung.« Karen zog ihre Schultern nach hinten, damit der Rucksack nicht so drückte. Er hatte harte Plastikschnallen, die sich bei jedem Schritt in ihren Rücken bohrten. Das hielt sie sonst nicht lange aus. Fünf Stunden Wanderung lagen vor ihnen. Der Höhepunkt würde die Besteigung eines Berges namens Beinn Bhreac sein.
»Und überhaupt«, Bernd marschierte entschlossen über den manikürten Rasen des Golfplatzes, »selbst wenn es ein Club für Reiche wäre – wir gehören jetzt dazu, schon vergessen? Wir haben jedes Recht der Welt, hier durchzulaufen.«
»Na ja«, meinte Karen. »Ganz so ist es ja wohl nicht. Glen Manor gehört Martha. Und wenn ich mich darauf freuen soll, dass es mir eines Tages gehören wird, dann freue ich mich ja sozusagen auf Marthas Tod. Das kann ich nicht. Eigentlich kann ich mich gar nicht freuen.«
Bernd blieb stehen und betrachtete neugierig die Erhebung im Gras vor ihm. Ein Plan zeigte an, dass das Ziel 450 Yard entfernt war. Von hier aus sollte man den Golfball über eine künstliche Sanddüne und einen Hügel hinweg in das vorgesehene Loch neben der kleinen Fahne befördern. Bernd holte mit einem unsichtbaren Golfschläger Schwung. »Müsste man direkt mal probieren. Golf, meine ich.« Er sah sie an. »Und gar nicht freuen? Das will ich nicht gehört haben. Natürlich möchte ich auch, dass Martha noch lange lebt. Besonders jetzt, wo sie so glücklich mit John ist. Obwohl ich immer noch nicht kapiere, warum die beiden damals nicht geheiratet haben. Ich meine, so wie die beiden miteinander rumturteln …«
Karen nickte unwillkürlich. Die Funken, die zwischen John und Martha hin und her sprangen, hätten eine ganze Stadt mit Strom versorgen können. »Sie hat ihn nicht geheiratet, weil dann der Besitz automatisch wieder an die MacGregor-Familie gegangen wäre. Dann wäre sie selbst eine MacGregor gewesen, die Schwägerin von diesem Cullen. Der hätte das Haus wahrscheinlich weiterhin als Familienbesitz betrachtet und trotzdem verspielt. Und außerdem hat es nach ein paar Jahren Beziehung zwischen Martha und John nur noch gekracht. Zwei Dickschädel halt. Du weißt ja, wie Martha ist. Deshalb ist sie wieder zurück.«
Bernd murmelte etwas. Es klang wie: »Verstehe einer die Frauen.« Dann hob er die Hand zum Gruß. In einiger Entfernung war ein Mann in karierten Hosen aufgetaucht, der eine Golftasche hinter sich herzog. Er legte kurz die Hand an die Stirn, um seine Augen vor der Sonne zu schützen, und winkte ebenfalls. Karen konnte weiße Lederhandschuhe erkennen. Seltsamer Sport. Nichts, was sie jemals probieren wollte. Und von lächerlichen Hosen hatte sie für den Rest ihres Lebens genug.
»Aber warum hat sie nicht einfach ihren Besitz eingeklagt, oder was auch immer man da tut. Dann hätte sie ordentlich Geld gehabt, vielleicht hätte sie sogar all die Jahre dort wohnen können. Ja, vielleicht hätten wir schon all die Jahre dort wohnen können! Dann sprächen wir jetzt perfekt Englisch.«
»Du kannst doch schon perfekt Englisch«, lobte Karen.
Bernd drehte sich um. »Höre ich da eine Spur von Ironie?«
»Nein, im Ernst.« Seine Aussprache war besser als ihre, das musste sie leider zugeben. Ja, er hatte sogar in den letzten Tagen angefangen, mühelos den schottischen Dialekt zu kopieren. Wahrscheinlich, um demnächst in Italien für einen Schotten gehalten zu werden. Wenn sie überhaupt jemals wieder nach Italien fuhren. Denn warum eigentlich? Hier gab es genauso viel amore , wenn nicht sogar noch mehr. Das alles war einmalig. Karen streckte sich und atmete den Geruch nach frisch gemähtem Gras ein, der vom Golfplatz herüberwehte. Sie ließen ihn links liegen und kamen auf einen
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