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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Herwig
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diesen Anlass angemessen feiern zu können. »Dann hätte ich doch beim Fleischer ein paar richtig feine Haggis bestellt«, jammerte sie.
    Karen hatte bei der Erinnerung an das schottische Nationalgericht sofort wieder den sandigen Geschmack im Mund. Selbst Bernd hatte aufgehört, davon zu reden. Aber sie wollte Mrs Warnock nicht kränken. »Wo ist denn Martha?«, fragte sie stattdessen.
    »Oder wenigstens einen Lammbraten.« Mrs Warnock seufzte resigniert und legte vier silbrig glänzende Fische auf einen Teller. »Jetzt ist es eben wieder Fisch. Man hat mir ja nichts gesagt. Wenigstens habe ich noch den Black Pudding bekommen. Den richtigen mit Schweineblut und Hafermehl. Den backen wir im Bierteig aus. Ihr Mann freut sich schon wie verrückt darauf.«
    »Was immer Sie kochen, ist fantastisch«, sagte Karen diplomatisch. »Aber wissen Sie, wo Martha ist?«
    Mrs Warnock sah sich erstaunt um. »John ist in der Destillerie. Ich glaube, sie ist diesmal nicht mitgegangen. Sicher sitzt sie in ihrem Zimmer.«
    »Danke.«
    Karen ging wieder hinaus ins Freie und sah sich suchend um. Da war Mark. Er kam ihr entgegen, die Hände erdverkrustet. »Hast du Martha gesehen?«
    Er nickte. »Dort hinten im Irrgarten. Ich pflanze ein neues Muster. Hat John mir erlaubt. Da findet kein Schwein jemals wieder raus. Hoffentlich wächst das schnell.«
    Mark und Gartenarbeit. Wer hätte das gedacht. »Und Martha hilft dir?«
    »Nee. Die ist eingeschnappt. Sie wollte, dass ich das alte Muster wieder pflanze. Aber das ist doch voll langweilig. Das soll doch ein Horror-Garten werden. Da hat sie wieder ihren Fake-Anfall hingelegt. Wie bei der Meerjungfrau, du weißt schon. Aber ich lass mich nicht so leicht einwickeln wie ihr.«
    »Sie hat was?« Etwas Heißes stieg auf einmal in Karens Brust hoch.
    »So getan, als ob sie umfiele.« Er sah sie ungeduldig an, weil sie ganz offensichtlich zu dämlich war, seinen Gedankengängen zu folgen. »Das macht sie doch immer, wenn sie nicht bekommt, was sie will. Hat sie mir selbst erzählt. Cooler Trick.«
    »Sie ist umgefallen? Wo?«
    »Sie hat so getan, als ob sie …«
    »Wo?«
    »Im Irrgarten … Was ist denn?«
    Karen schob ihn zur Seite und rannte los. Im Laufen stolperte sie über einen Stein und wäre beinahe noch ausgerutscht, fing sich aber wieder. Zweige klatschten ihr ins Gesicht, als sie den überwucherten Weg zum Irrgarten entlanghastete. Da! Da lag sie auf dem Boden. Eine kleine Gestalt in einem pastellfarbenen Sommerkleid.
    »Martha?« Karen beugte sich über sie. »Martha, hör auf damit. Du jagst uns Angst ein.«
    Sie reagierte nicht. Ihr Gesicht war ganz weiß. Karen griff nach Marthas Hand. »Hörst du mich? Kannst du mich hören? Martha?«

30 John MacGregor erhob sein Glas. Diesmal war kein flüssiges Gold darin, sondern Champagner. Der Whisky wartete allerdings schon auf einem kleinen Beistelltischchen. »Wenn mir jemand vor drei Wochen prophezeit hätte, dass ich noch mal mit meiner Mermaid zusammen am Tisch sitzen und anstoßen würde, ja, dass wir uns überhaupt noch mal sehen, hören und sprechen könnten, dann hätte ich denjenigen für verrückt erklärt.«
    »Was sagt er?«, hörte Karen die heisere Stimme von Mrs Warnock senior, die eigens zu diesem besonderen Anlass eingeladen worden war. Sie saß wie ein verschrumpelter Apfel neben Bernd am Tisch, war jedoch noch sehr munter. Ja, sie wirkte im Moment sogar fitter als Martha, die nach ihrem Schwächeanfall immer noch ein bisschen blass aussah. John hatte sofort seinen Arzt angerufen, aber als der eingetroffen war, hatte Martha schon wieder Farbe im Gesicht und genug Kraft in der Stimme gehabt, um den armen Doktor abzukanzeln. »Mir geht’s gut«, hatte sie behauptet. »Ich bin nur ein bisschen erschöpft, aber das ist ja auch kein Wunder, bei all dem Trubel. Mein Kreislauf ist ein wenig angeknackst.«
    Karen machte sich trotzdem Sorgen. Auf der Herfahrt hatte Martha aus unsichtbaren Kraftreserven geschöpft, sie alle rastlos angetrieben, und Karen fast vergessen lassen, dass eine alte Frau mit im Auto saß. Aber noch einmal so eine lange Reise … Heute Nachmittag im Irrgarten war Karen zum ersten Mal bewusst geworden, wie alt Martha wirklich war. Vielleicht konnte sie zurück nach Köln fliegen? Das musste doch irgendwie möglich sein.
    »Auf jeden Fall bin ich der glücklichste Mensch der Welt«, fuhr John MacGregor am Tischende fort. »Auch deshalb, weil Martha mir nun endlich einen Herzenswunsch erfüllt hat.« Er

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