Martha im Gepaeck
Wanderweg, der sie durch die sanften und heidebewachsenen Hügel immer höher führen würde. Es war still hier, abgesehen von ihren eigenen Schritten.
»Und zu diesem Zweck hätte sie ja John aus seinem eigenen Haus schmeißen müssen«, überlegte sie laut. »Martha hat ihn doch immer noch geliebt. Sie hat den beiden erlaubt, auf Lebenszeit in ihrem Haus wohnen zu bleiben. Zur Untermiete sozusagen.« Ihr fiel etwas ein. »Und Martha wollte das Haus doch gar nicht. Es war ja nicht so, dass sie es Cullen abgeluchst hatte. Im Grunde wollte sie sich doch nur nicht gefallen lassen, dass er sie einfach rausschmeißt. Und wie hätte sie denn so ein großes Haus überhaupt in Schuss halten sollen? Das kostet einen Haufen Geld. So viel Geld hätte sie mit ihren Zaubershows nie verdient.« Karen biss sich auf die Unterlippe. So viel Geld würden sie und Bernd im Übrigen auch nie verdienen. Wie sollten sie eigentlich so ein gewaltiges Haus und Grundstück in Schuss halten? Der Gedanke daran behagte ihr gar nicht. Kam Zeit, kam Rat. Oder? Sie versuchte, an etwas anderes zu denken. An gestern Nacht zum Beispiel, als die arme Lady Chatterley irgendwann im Eifer des Gefechts aus dem Bett geflogen war, weil sie doch noch den verpatzten Nachmittag nachgeholt hatten. Oder an gestern Abend, als Martha sich ihr endlich anvertraut hatte. Und je mehr Karen jetzt darüber nachdachte, umso mehr konnte sie Tante Marthas Verhalten nachvollziehen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie ihrer Schwester Lotte von Glen Manor erzählt hätte. Wie ein Geier hätte diese sich darauf gestürzt. Manche Dinge blieben besser unerwähnt. Würde sie, Karen, ihrer Mutter davon erzählen, wenn sie sich mal wieder meldete? Karen war sich nicht sicher.
»Da hatte John aber echt Glück, dass ihm die Destillerie noch gehörte«, meinte Bernd. »Wenn ich es recht verstanden habe, ist das die einzige Einnahmequelle. Damit hat er es geschafft, sich all die Jahre über Wasser zu halten. Kein Wunder. Bei diesem exzellenten Whisky.« Er blieb kurz stehen und seufzte. Dann lief er weiter. Der Weg wurde jetzt schmaler und steiler, und bald erreichten sie ein erstes kleines Plateau. Große graue Steine bildeten einen lockeren Halbkreis im Gras, als hätten sie sich zu einem geselligen Beisammensein eingefunden.
»Ist das eine Ruine?«, fragte Bernd interessiert. Er zückte sein Notizbuch und schrieb etwas hinein.
»Was schreibst du eigentlich dauernd?«, wollte Karen wissen.
»Nichts weiter. Ein paar Notizen.«
»Ein paar Notizen? Schreibst du jetzt plötzlich Tagebuch? Oder Gedichte?«, witzelte Karen.
»Warum wir aber so schnell hierher nach Glen Manor hetzen mussten, das verstehe ich immer noch nicht.« Bernd hatte offenbar nicht vor, den Inhalt seines Notizbuches preiszugeben. Karen würde es auch so erfahren. Er konnte das Ding ja nicht immer bei sich tragen.
»Na ja, die alte Mutter von Mrs Warnock hat Martha die Todesanzeige von Cullen nach Deutschland geschickt. Leider an eine alte Adresse. Und die Post hat den Brief doch tatsächlich an Marthas richtige Anschrift weitergeleitet.«
»Es geschehen noch Zeichen und Wunder«, murmelte Bernd.
»Deswegen hat sie ihn erst mit dreimonatiger Verspätung bekommen.« Karen erwähnte nicht, was Martha ihr noch anvertraut hatte. Sie hatte Angst gehabt, dass John vielleicht nicht mehr am Leben war. Dass niemand ihr glauben würde, wenn sie den alten Vertrag vorzeigen würde. Cullen hatte zwar klein beigegeben und alles unterschrieben, aber immerhin war Poker ein illegales Glücksspiel. Es durfte nicht bekannt werden, wie sie an den Vertrag gekommen war. Martha war auch besorgt, dass ihr selbst etwas passieren könnte, dass sie nicht mehr in der Lage wäre, so eine lange Reise auf sich zu nehmen. Karen schüttelte den Kopf. »Warum hat sie nur nicht mit mir darüber geredet?«
Bernd schwieg taktvoll.
Karen war ihm dankbar dafür. Wann genau hätte Martha denn mit so einer Enthüllung zu ihr kommen sollen? Im Auto auf dem Weg zum Arzt, wenn Karen dauernd auf die Uhr guckte und leise Flüche wegen des Verkehrs ausstieß? Bei ihren Besuchen, wo Karen als Erstes alle Fenster in Marthas Wohnung aufriss und nur halb hinhörte, was diese erzählte, weil sie in Gedanken schon wieder beim nächsten Tag war, beim Tanzfest im Kindergarten, bei der Steuerabrechnung, bei der Milch, die sie vergessen hatte einzukaufen, obwohl sie extra deswegen in den Laden gerannt war? Es war wohl besser, manche Sachen nicht zu
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