Martha's Kinder
dreiviertel meiner Anklagen weg!) – also, um dieses hohe Gut, die Zivilisation, zu schützen, muß man kämpfen und im Kampf gilt das Axiom, daß jede Waffe gut sei – gerade so wie der jesuitische (nicht christliche) Satz allenthalben Geltung behauptet: der Zweck heiligt die Mittel. An diesem Satze krankt unser ganzes politisches System. Zwecke, – über deren Nützlichkeit man sich täuschen kann, Zukunftsgefahren, die gar nicht existieren, werden als so groß, aufgefaßt, daß sofort auch die bösesten Mittel geheiligt erscheinen, und man protegiert Roheit, Verfolgung und allerlei an sich Abscheuliches und Niedriges in der Gegenwart, welches helfen soll, ein vermeintlich Hohes zu erreichen und vermeintlich entsetzliche Zukunftskalamitäten abzuwenden. Daß aber die geduldete Roheit sicher böse Folgen nach sich ziehen muß, übersieht man ... Sehen Sie, verehrter Freund, das ist das ganze Geheimnis. Warum sonst gute, wahrhaft tugendhafte Menschen so viel Böses geschehen lassen – sie glauben dadurch noch Schlimmerem vorzubeugen. So haben sich bisher noch alle historischen Schandtaten durch edle Motive begründen lassen und sind mitunter auch aus edlen Motiven verübt worden ... und die Geschichte wird auch solange eine Kette von Greueln bleiben, solange der Kulturmensch nicht jene unselige Formel abschwört und nicht erkennt, daß für keinerlei Zweck ein Mittel angewendet werden darf, das weniger heilig, weniger rein ist als der Zweck. Wenn Sie Einfluß auf Ihren Freund haben, liebster Herr von Wegemann, und den haben Sie ja – ebenso wie auf andere machthaberische Kreise – dann benutzen sie ihn, um zu warnen ... darum habe ich Sie bitten wollen ...«
»Nein, mein lieber Dotzky, ich enthalte mich jeder Einmischung in öffentliche Angelegenheiten – ich nehme meinen »Ruhestand« ernst. Und außerdem teile ich da weder Ihre Befürchtungen noch Ihre Auffassungen. Sie haben von staatsmännischer Politik keinen rechten Begriff. Da muß man sich wehren, so gut man kann und die Mittel, die man anwendet, nicht nach ihrem idealen, sondern praktischen Gehalt prüfen. Der gute Zweck ist doch die Hauptsache. Wenn wir den monarchischen und den christlichen Gedanken schützen, schützen wir da nicht den Boden auf dem wir stehen und die Luft die wir atmen? Die anderen, unsere Gegner, die haben wieder ein Interesse daran, diese Prinzipien zu unterminieren und tun es mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln – soll man das geschehen lassen? Sie sind ein ganz vortrefflicher Mensch, mein lieber Rudi, ein liebenswürdiger Träumer, aber von dem Ernst und den Pflichten des staatsmännischen Berufs haben Sie keine Ahnung ... Idealismus und Ästhetik und dergleichen sind ganz schöne Dinge, gehören aber auf ein anderes Feld: ins Künstlerhaus, in die Pflegestätten klassischer Studien, aber doch nicht in die Volksvertretung und Ministerkabinette – in diesen muß ...«
Rudolf hatte mit wachsender Ungeduld zugehört:
»Verzeihen Sie, daß ich widerspreche,« unterbrach er jetzt. »Meine Meinung ist die: nachdem Volksvertretung und Ministerkabinette die Stätten sind, wo dem Leben der Völker die Richtung gegeben wird, so obliegt die Pflege des Ideals gerade diesen; denn dahin strebt doch die Kultur: daß die Schönheitsideale und Sittlichkeitsnormen das Leben durchdringen. Wir werden uns gegenseitig nicht überzeugen, sehe ich – es wäre fruchtlos, weiter zu disputieren, dennoch habe ich bei dieser Unterhaltung gelernt, sie hat mir einen tiefen Eindruck in die Ursachen der gegenwärtigen Kämpfe und Kampfweisen gewährt ...«
»Warum sagen Sie »gegenwärtig«? Es ist ja immer derselbe Kampf, mein Lieber, wie er seit Erschöpfung der Welt getobt hat und wie er in Ewigkeit weiter toben wird – der Kampf zwischen Gut und Böse.«
Rudolf schüttelte den Kopf:
»In Ewigkeit? Das ist wieder eine Verkennung des Entwicklungsgesetzes. Dieser lange Kampf ist aber nur darum bis heute unentschieden geblieben, weil das Gute noch nicht versucht hat, sich durch Gutes durchzusetzen, weil immer noch das Böse als Mittel sanktioniert ward. Ein neues, ganz neues Licht muß die Geister erhellen – und das wird kommen. Gerade so, wie – auf physikalischem Gebiet – das elektrische Licht entdeckt wurde, wird auf geistigem Gebiet eine neue Erkenntnis erstrahlen, durch die die Macht des sogenannten Bösen – nicht mit Unrecht Macht der Finsternis genannt – endgültig überwunden wird.«
Wegemann zuckte lächelnd die Achseln.
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