Martha's Kinder
Spielenden hatten keinerlei Heftigkeit; kein Laufen oder Springen, vielmehr – besonders bei den Herren – eine behäbige, sich wiegende Nachlässigkeit.
Martha, die etwas abseits von den anderen saß, hielt ein Zeitungsblatt in Händen; sie las aber nicht, sondern verfolgte mit den Blicken die anmutigen Gestalten ihrer Kinder.
Mit Sylvias Verlobung hatte sie sich nunmehr ausgesöhnt. Täglich wiederholte ihr das junge Mädchen, daß sie sich vollkommen glücklich fühle. Mitunter stiegen ihr zwar dennoch Zweifel auf; vieles in ihres künftigen Schwiegersohnes Wesen und Äußerungen wirkte auf ihre Nerven – wie etwa das Ausgleiten einer Messerschneide auf einem Porzellanteller, oder das Kratzen spitzer Fingernägel an einer Seidentapete, aber solche Regungen verjagte sie rasch.
Beatrix und ihre Mutter saßen nebeneinander, in eifriges Kleinkinder-Gespräch vertieft. Die Existenz des neuen Insassen und Erben von Brunnhof war für seine junge Mutter die wunderbarste – und für seine Großmutter die wichtigste Erscheinung der Umwelt.
Die vier Herren, Oberst von Schrauffen, Minister »Allerdings«, Pater Protus und Doktor Bresser unterhielten sich untereinander.
»Von dem Spiel verstehe ich nichts,« sagte der Pfarrer. »Es sieht gar nicht lebhaft aus – sehen Sie nur, wie wenig heftig die Bewegungen sind, kein Laufen, kein Springen – im Gegenteil ... besonders die Herren – so was Behäbiges, Wiegendes, Nachlässiges. Aber amüsieren müssen sich die Herrschaften doch dabei, sonst würden sie's nicht so hartnäckig betreiben – wo jetzt das Tennis einreißt, da wird täglich zum Rakett gegriffen, als ob damit eine wichtige Pflicht abzutun wäre. Mir ist leid um die gemütlichen Kegelpartien, die nun überall abkommen.«
»So ist die Welt, hochwürdiger Herr – alles alte wird von neuem verdrängt.«
Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Nur unter neuerungssüchtigen Menschen, Herr Doktor – sehen Sie sich einmal die Natur an: immer wieder die gleichen Bäume, dieselben Berge –«
»O nein, nicht dieselben,« rief der Doktor. »Die Veränderungen in der Natur gehen nur langsam vor sich – sodaß man sie nicht wahrnimmt; aber meinen Sie nicht, daß seit der Tertiärzeit die hiesige Gegend viel größere Wandlungen durchgemacht hat, als die von der Kegelbahn zum Tennisplatz?«
»Allerdings«, bestätigte der Minister. »Die größten und häufigsten Wandlungen sind aber schon in unserer Politik zu konstatieren. Da läßt sich schon gar nicht, trotz der nimmer nachlassenden Anstrengungen der Konservativen, die geringste Stabilität erzielen ... Ad vocem ›Politik‹: wissen die Herren, daß unser Rudolf sich um ein Mandat im Abgeordnetenhause bewirbt?«
»Ich weiß es,« sagte Doktor Bresser. »Die Baronin Tilling ist entzückt darüber.« »Einerseits begreife ich das,« versetzte der Minister, »Mütter freuen sich immer, wenn sich ihre Söhne im öffentlichen Leben hervortun wollen – andererseits bringt die Abgeordneten-Laufbahn viel Verdruß und Schwierigkeiten.«
Der Oberst zuckte die Achseln: »Ach was, Schwierigkeiten! Mit Rudolfs Namen und Verbindungen... Da wird's ihm nicht fehlen, zu irgend einem angesehenen Posten zu gelangen – zuerst ein paar Jahre im Parlament – dann irgend ein Portefeuille –«
»Ich kann mir nicht recht vorstellen,« sagte Peter Protus, »welche Rolle Graf Rudolf in der Politik spielen wird. Seinem Range nach müßte er sich der konservativen Partei anschließen –«
»Allerdings«, nickte der Minister.
»– Wie ich ihn aber kenne, neigt er zu den Liberalen, um nicht zu sagen – Radikalen.«
»Jedenfalls ist seine Gesinnung nicht ganz geheuer,« sagte der Oberst, »ich kann die antimilitärische Rede nicht verschmerzen, die er beim Tauffest seines Erben gehalten hat, wobei Sie, Herr Doktor, ihn noch unterstützten ... wenn ich mich recht erinnere, so haben Sie für Verweigerung der Heereskosten plaidiert. Wenn Rudolf in dieser Richtung auftreten sollte –«
Der Minister machte eine beschwichtigende Handbewegung:
»Seien Sie ruhig – wem Gott das Amt gibt – gibt er auch den Verstand. Das heißt mit anderen Worten: wenn man in eine gewisse Stellung gelangt – und in gewisse Kreise, so wird man von den Obliegenheiten dieser Stellung und dem Geist dieser Kreise unwillkürlich so durchdrungen, daß die alten Ideen und Neigungen wie Nebel zerrinnen und man tut und wirkt, was der neue Posten erheischt.«
»Es sei denn,« entgegnete Bresser, »daß man
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