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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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»Hast Du sie denn überhaupt gelesen?«
    »Du etwa nicht?« – Anton verneinte mit dem Kopfe – »und was die Konzilien betrifft, so habe ich von deren Geschichte nicht viel gehört –«
    »Ich schon. Du weißt, ich war zwei Jahre in Kalksburg, bei die Jesuiten –«
    »Bei den Jesuiten.«
    Toni zuckte ungeduldig mit den Achseln. »No ja, pardon, bei den Jesuiten – und da wird alles, was Kirchengeschichte ist, gar genau studiert. Länger als zwei Jahr hab' ich's übrigens dort nicht ausgehalten – aus mir wär' doch nie der richtige Jesuitenzögling geworden.«
    »Gottlob. Was ich aber sagen wollte: ich rechne darauf, daß wir in inniger geistiger Gemeinschaft sein werden – daß wir miteinander über alles reden, was wir bewundern – was wir bestaunen von den Mysterien, die –«
    »Ich staune über das Mysterium Deiner Schönheit –«
    Jetzt zuckte sie mit den Achseln. »Schon wieder?«
    »Bist Du bös, wenn ich Dich bewundere – wenn ich verrückt werde durch Deinen Reiz?«
    Nein, darüber war sie nicht böse; aber daß er nichts anderes zu sagen wußte, das begann ihr ein gewisses Grauen einzuflößen.
    Er drückte ihren Arm fest an sich und beugte sich zu ihr nieder, indem er seine brennenden Augen tief in die ihrigen senkte – eine Art zu blicken, die sie mit süßem Schauer durchrieselte. In der Tat, was in der Welt konnte neben solchem Mysterium noch bestehen? ...
    Sie schwiegen nun beide. In der schwülen Luft erhob sich ein leiser Regengeruch. Die »sonderbare« Beleuchtung wurde immer unnatürlicher; nicht wie Gras lag es auf den Rasenflächen, sondern wie grünes Metall. Ein fernes Donnergrollen wurde vernehmbar.
    »Kinder, Kinder!« riefen die anderen, »es kommt ein Gewitter – gehen wir hinein ...«
    Wenn etwas Sylvias Empfindung – halb Lust, halb Bangen – noch erhöhen konnte, so war es die Aussicht, daß jetzt ein tüchtiges Unwetter losbrechen werde: prasselnder Regen, grelle Blitze, Donnerschläge: darnach sehnte – und darauf fürchtete sie sich. Und richtig, kaum verstrichen noch einige erwartungsvolle Minuten, so fing ein pfeifender Wind an, die Baumäste zu biegen und Wirbel von Staub und Blättern durch die Luft zu jagen; dicke, warme Tropfen fielen herab; die gelbgrüne Beleuchtung wich einer plötzlich heranbrechenden Dunkelheit; schwarze Wolkenmassen walzten sich heran und hingen tief zur Erde herab. Ein blendender Blitz zeichnete eine feurige Zackenlinie vom Zenith bis zum Boden und gleich darauf knatterte eine heftige Donnersalve – es mußte in der Nähe eingeschlagen haben.
    Die ganze Gesellschaft stürzte, so schnell sie konnte, dem Schlosse zu. Die Verlobten waren etwas weiter entfernt und sie mußten ihre Schritte noch mehr beschleunigen, wollten sie rechtzeitig unter Dach kommen. Hugo Bresser, einen Schirm in der Hand, eilte ihnen entgegen.
    Jetzt kam ein förmlicher Wolkenbruch herabgeschüttet. Da begann Sylvia zu laufen; als sie nur mehr einen Schritt von Hugo entfernt war, stolperte sie über einen Stein und fiel. Der junge Mann fing sie noch rechtzeitig in seinen Armen auf.
    Er umschlang sie fest. Mitten in dieser elektrizitätsgeladenen Atmosphäre, in diesem Sturm der losgelassenen Elemente pochte es auch wild in seinen Adern. Und seine langverhaltene Leidenschaft entlud sich in diesem einen Augenblick, da der Zufall ihm das angebetete Mädchen in die Arme warf und – er konnte nicht anders – er drückte sie ans Herz. Dabei lag in seinem ganzen Gesichtsausdruck das deutlichste Geständnis glühender Liebe.
    Auch Sylvia war unter dem Bann der stürmischen Minute: diese plötzlich geoffenbarte Leidenschaft glich ja auch einem Blitzstrahl... Sie empfand keinen Groll; was sie empfand, war vielmehr der Rückschlag desselben elektrischen Stromes, der das Herz durchzuckte, an dem sie lag.
    Nur drei Sekunden lang. Schon war Delnitzky herbeigesprungen und befreite sie. Er hatte von dem Vorfall weiter nichts gesehen, als das Ausgleiten ihres Fußes und die zufällig gebotene Hilfe.
    Sylvia atmete schwer und tief auf.
    »Nein, nein – nichts, nichts ...« stammelte sie und schloß die Augen.

V.
    An diesem Abend blieb Sylvia nicht im Salon.
    Gleich nach dem Diner, bei dem sie die Schüsseln beinahe unberührt vorübergehen ließ, zog sie sich, heftigen Kopfschmerz vorschützend, auf ihr Zimmer zurück.
    Sie wollte beichten. Zuerst ihr Gewissen erforschen und dann Beichte ablegen – sich selber. Und sich wahrscheinlich eine Buße diktieren – denn die Sünde, die

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