Martha's Kinder
sie in der bevorstehenden Gewissenserforschung zu finden fürchtete, verdiente nicht – ohne weiteres – die eigene Absolution.
Bei Tische hatte die Unterhaltung einmal einen höheren Ton angeschlagen als gewöhnlich. Rudolf und Hugo, die einander gegenüber saßen, waren in ein Wortgefecht geraten, das bald so lebhaft wurde, daß alle anderen Gespräche verstummten und die ganze Gesellschaft den beiden jungen Männern lauschte:
»– – Und ich sage, lieber Bresser, das höchste ist die Tat.«
»Ich bleibe dabei, Graf Rudi, als Höchstes thront der Gedanke, schon deshalb, weil er einsam sein kann – in Gletscherhöhen schweben. Ich weiß in der Geschichte keine sogenannte Tat, durch die die Menschheit bereichert und geadelt worden wäre – das ist immer nur das Werk großer Gedanken gewesen.«
»Die erste Stufe kann doch nicht höher stehen, als die nächste. Zuerst denkt – dann handelt man. Das Wort muß Fleisch werden, die Idee muß eine Form beseelen. Das Gedachte muß sich bejahen, durchsetzen, muß geschehen, muß – mit einem Wort – getan werden, entschlossen, kräftig, wuchtig getan.«
»Diese Worte passen auf Faustschläge, auf Gewaltakte überhaupt. Es wundert mich, daß gerade Sie, der Friedensanwalt, so sprechen.«
»Eben weil ich Anwalt einer Idee bin, lechze ich darnach, daß sie sich in Taten umsetze, in Institutionen verkörpere.«
»Das geschieht von selber, wenn die Idee erst mächtig genug geworden. Eine Institution ist nicht lebensfähig, wenn sie vorzeitig erzwungen wird ... Was verstehen Sie übrigens unter Institutionen? Gesetze? Verfassungen? Politische Formen? Anstalten und Körperschaften? Wie ist das alles so nebensächlich, so unwichtig gegen das Reich des Geistes ... des täglich wachsenden, immer lichtere Höhen erklimmenden Menschengeistes ...«
»In wie wenig Köpfen!« ... »Die vielen folgen, langsam nach.«
»Die folgen nur dem sichtbar – also dem tatgewordenen Gedanken –«
»Übrigens: – noch wertvoller als Handeln und als Denken ist das Gefühl. Gefühl ist der Gipfelpunkt des Lebens ... Ist auch der Regulator, all der sogenannten Institutionen: Das Gefühl, nicht das besonnene Urteil der Massen, kann als Gradmesser der Kultur gelten. Nur im Bereiche des Gefühls entfalten sich die reichsten Blüten der Seele: das Mitleid, die Begeisterung, die Andacht, und die Krone alles Seins – die Liebe. Aus dem Gefühle strömt die Schöpferkraft des Künstlers und flammt die Lust des Kunstgenießens ... Auch des Naturgenusses: nicht was wir an der Rose riechen ist, was uns entzückt, sondern was wir beim Einatmen ihres Duftes mit allerlei verketteten Vorstellungen und Erinnerungen fühlen; was wir an Akkorden und Tonfolgen hören, ist Lärm, erst was wir daraus fühlen, ist Musik – –«
»Was der für geschwollenes Zeug redet,« flüsterte Delnitzky seiner Braut zu. »Paß nicht auf, reden wir lieber von –«
Sylvia machte eine abwehrende Handbewegung, kehrte sich noch mehr von ihrem Nachbar weg und blickte mit gespannter Miene auf den Sprecher. Dieser fuhr fort:
»Durch das Gefühlte – Inspiration, Ahnung, Leidenschaft – wächst man über sich selbst hinaus. Augenblicke, in denen der Mensch zum Gotte wird – es sind nur Augenblicke, nicht Tage, nicht einmal Stunden – sind Augenblicke überströmenden Gefühls ... Der Dichter, der Seher, der Liebende weiß, was solche Augenblicke sind ... Wer sie erlebt hat, ist geweiht – der gäbe die Erinnerung daran nicht um schwere Schätze her ... Einer solchen Erinnerung –« Hugo nahm sein Glas zur Hand und stand auf – »ich besitze sie erst' seit heute – trinke ich nun zu, und wer einen Augenblick erlebt hat, der ihn über alles Irdische erhoben, stoße mit mir an!«
»Mit anderen Worten,« sagte Oberst von Schrauffen, der neben Hugo saß und Bescheid tat, »unsere schönen Erinnerungen hoch!«
Damit war der etwas überspannte Ausfall des jungen Schriftstellers auf ein allgemein verständliches Niveau gebracht und die Gläser klirrten: »Unsere Erinnerungen hoch!« hieß es um die ganze Tafelrunde.
Delnitzky fand ein für einen Bräutigam glückliches Wort:
»Höher noch unsere schönen Erwartungen!«
Sylvia hatte Hugo zugetrunken – auf den Toast Antons gab sie nicht Bescheid.
Als sie in den Salon gingen, fragte Delnitzky seine Braut, die er am Arm führte:
»Warum hast Du vorhin nicht mit mir angestoßen?«
»Laß mich,« antwortete Sylvia in nervösem Tone, – »ich habe Kopfweh.
Und
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