Martha's Kinder
zusammenzukommen, besonders in deren eignem Heim.
Das Leben dort bot nach jeder Richtung das Muster glücklichen und harmonischen Menschenloses. Genügender Reichtum, glänzende soziale Stellung, gegenseitige Anhänglichkeit, ein heiteres Dahinfließen der Tage in regelmäßigen Beschäftigungen: musizieren, lesen, sticken, malen, reiten, gemeinsame Spaziergänge und Spiele. Die Mädchen, so jung sie waren, zogen dieses Landleben dem Wiener Aufenthalt vor. Das Mitmachen der Wintervergnügungen war für die Schwestern Ranegg mehr die Erfüllung einer Standespflicht, als wirkliches Vergnügen. Im Mai, wenn die weltliche Nachsaison ihre höchsten Wogen schlug, waren sie schon immer voll Ungeduld, Wien zu verlassen, um in ihr geliebtes Raneggsburg zurückzukehren, das sie im Schmuck des Flieders und der blühenden Kastanien besonders anzog. Und wenn es Winter wurde, schoben sie die Übersiedlung nach Wien so weit als möglich hinaus. Sie liebten es, auf dem zugefrorenen Schloßteich Schlittschuh zu laufen und die langen Abende um den Familientisch zu verplaudern, jede mit einer Handarbeit beschäftigt. Vor Weihnachten wollten sie um keinen Preis fort, das Fest mußte in Raneggsburg gefeiert werden, mit dem großen Christbaum im Billardsaal, mit Bescherung für die Dorfkinder und Beschenkung aller Dorfarmen mit selbstgestrickten warmen Unterkleidern und Tüchern.
Martha unterhielt sich sehr gern mit Gräfin Ranegg, deren Altersgenossin sie war. Zwar hatten sich die beiden in ihrer Jugend nur sehr flüchtig, beinahe gar nicht gekannt – erst durch die Nachbarschaft zwischen Brunnhof und Raneggsburg waren sie einander seit einigen Jahren so nahe gekommen –, dennoch sprachen sie mit Vorliebe von alten Zeiten miteinander, von den Begebnissen, Sitten und Anschauungen, die in der Welt herrschten, als sie jung waren. Gräfin Ranegg war in ihren Gesinnungen viel konservativer als Martha, wenn gleich sie viel liberaler dachte, als die Mehrzahl ihrer beiderseitigen Standesgenossinnen. Auf halbem Wege kamen sie sich entgegen; die etwas kühnen Ideen Marthas berührten die andere sympathisch, und das völlige Gleichgewicht des gediegenen, toleranten, vornehmen Wesens der Gräfin Ranegg übte trotz der Grundverschiedenheit der Ansichten auf Martha einen eigenen Reiz; es lag etwas so Beruhigendes und Harmonisches darin, – wie in allem, was aus einem Gusse und dabei aus edlem Stoffe ist.
Mit aufrichtiger Freude ging Martha der Eintretenden entgegen:
»Ah, sieht man Euch endlich wieder, ihr mondänen Geschöpfe!«
Die vier Mädchen küßten Martha die Hand.
»Ja, mondaines sind wir«, seufzte Gräfin Ranegg, »gestern Ball bei Pallavicini, heute bei Erzherzog Ludwig Viktor, morgen im Ministerium des Äußern ... Es ist eine wahre corvée .«
»Nun, nun, es macht Euch doch Vergnügen«, sagte Martha, »das heißt den Kindern ... das Los der Mütter ist auf Bällen freilich kein beneidenswertes.«
Die Mädchen waren mit Sylvia und Rudolf in eine andere Ecke des Zimmers gegangen, wo sie sich laut und eifrig unterhielten, sodaß die beiden älteren Damen miteinander sprechen konnten, ohne von den anderen gehört zu werden.
»Ich kann Dich versichern«, sagte Gräfin Ranegg, »nicht nur für Mütter, auch für die Töchter ist jetzt in unserer Welt nicht viel Vergnügen zu finden ...«
»Ja«, bestätigte Martha, »das habe ich an Sylvia auch erfahren ... die moderne junge Herrenwelt ist gar so, ich weiß nicht, wie ich sagen soll ...« »Sag' ihr eigenes Lieblingswort: fad. Erinnerst Du Dich zu unserer Zeit, welch ein Unterschied – wie wurde da den jungen Mädchen der Hof gemacht, was doch – seien wir aufrichtig, was doch die Würze der weltlichen Vergnügungen ist. Geflirtet muß werden oder, wie man früher sagte, »Passionen« müssen entbrennen ... Das hat alles aufgehört. Unsere jungen Männer verlieben sich nicht mehr – wenigstens nicht in unsere Mädchen.«
»Nein, in Bühnenprinzessinnen«, schaltete Martha ein.
Gräfin Ranegg fuhr fort: »Und zum Tanzen – da muß man die jungen Leute ordentlich zwingen. Dabei sind die meisten, deren man doch habhaft wird, so uninteressant, so langweilig, so gar nicht bei der Sache ... Sie tanzen ein paar Touren, weil es sein muß, oder tanzen auch nicht. Und zu den Soiréen sind sie einfach gar nicht zu haben. Wieviel solche haben wir schon mitgemacht, wo wir fast nur Frauen waren – ein paar alte Diplomaten und Generäle ausgenommen. Auf den Bällen gibt es zwar
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