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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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für Ideen, Erfindungen, Bewegungen sich erwärmen, von denen sie das Paradies schon diesseits erhoffen, oder doch wenigstens die Überwindung des Jammers, der – auch schon hienieden – eine Hölle schafft. Das ist doch nicht minder »Relichion«.
    Ach, daß ein und dasselbe Wort oft so verschiedene Dinge bedeutet! Das macht die Verständigung so schwer; das ist daran schuld, daß einer dem anderen so oft unrecht tut. Religion heißt auch das: inbrünstig die Verpflichtung fühlen, für das Gute, das Rechtschaffene, das Heilige einzustehen. Sich mit der Seele anklammern an alles, was von ewiger Schönheit, von lichter Klarheit, von ehrfurchtgebietender Größe erfüllt ist. Und das Gegenteil von alledem, das Häßliche, Finstere, Niedrige – vor allem das Grausame – bekämpfen, wo nur immer möglich. Wenn man noch dazu durch Wort und Eid gebunden ist (habe ich nicht geschworen, Friedrichs Aufgabe zu übernehmen?), da hat man doppelt religiös zu sein, gerade so, wie ein vom Klostergelübde gebundener Gläubiger doppelt fromm sein muß. Und so verfolge ich alle Phasen der Friedensbewegung und bleibe – mit Rudolf und durch Rudolf mit allen Bekämpfern des Krieges in steter Berührung: das ist meine Betschwesterschaft.
    Die Post brachte mir heute diesen Brief:
    »Berlin, 12.1.92
    Ihr Name wird unter den Vertretern einer Bewegung genannt, die die Menschheit »nach oben«, das Christentum seiner Erfüllung entgegenführen soll.
    Ich halte es für meine Pflicht, mich Ihnen respektvoll zu nahen und Sie zu bitten, mich als einen derer anzusehen, die mit ganzer Kraft für die höchsten Bestrebungen eintreten. Jede Faser meines Daseins gehört dem Aufbau eines Reiches Gottes auf Erden, gehört dem »Werden des Christentums«. Es begreift dies alle Bestrebungen guter Menschen.
    Ich bin durchglüht von Idealismus, bin aber kein Phantast – Sie haben es mit einem »Menschen« zu tun. Unerschrocken, aber auch unbeirrt werde ich die Wege weitergehen, die mir umgezeichnet sind. Je umfassender unser Vorgehen ist, desto wirksamer; je entschlossener, desto heilbringender; je gleichzeitiger auf der ganzen Linie, desto durchgreifender der Erfolg.
    Jetzt also muß »etwas werden«. Ich lebe der festen Überzeugung (das Wort Glaube wäre mir nicht genug hierfür), daß wir vor dem Tore stehen, das uns ebensowohl davon trennt, wie uns einführt in das Zeitalter der Vervollkommnung. Die Klinke mit kraftvoller Hand zu ergreifen, scheint mir die Berufung aller derer, denen Gott die Fähigkeit dazu gab.
    M. v. Egidy, Oberstleutnant a. D.«
    Diese unerwartete Botschaft erschütterte mich freudig. Ja, es will und es wird etwas werden. Nur kräftig an jener Klinke gerüttelt und das Tor geht auf.

XIV.
    Zwei Tage nach dem kleinen Diner traf Sylvia wieder mit Hugo Bresser zusammen. Diesmal in Marthas kleinem Empfangssalon.
    Als sie eintrat, in der Absicht, wie sie es oft tat, ein Vormittagsstündchen mit ihrer Mutter zu verplaudern, fand sie diese in Gesellschaft Rudolfs und Hugos. Letzterer sprang auf, um sich vor der Eingetretenen zu verneigen. Es lag Verwirrung in seiner allzu raschen Gebärde, in seinem blaß und rot werdenden Gesicht. Oder schien es Sylvia nur so – und vielleicht nur darum, weil sie selber etwas wie Verwirrung empfand? Keine unangenehme – im Gegenteil...
    Sie umarmte ihre Mutter, schüttelte den beiden jungen Männern die Hand und setzte sich. Bresser wollte sich nun empfehlen.
    »Nein, nein, warum nicht gar, mein Lieber«, widersetzte sich Baronin Tilling, »bleiben Sie doch! Wir drei sind oft genug miteinander allein – und Sylvia wird gewiß auch gern in unser Gespräch eingreifen, gerade da, wo wir es unterbrochen haben.«
    »So? Wovon spracht Ihr denn?«
    Hugo, indem er sich auf seinen früheren Platz wieder niederließ, antwortete:
    »Wir sprachen vom Dichterhandwerk. Die Herrschaften – wie das so üblich, wenn z. B. der Kaiser auf dem Industriellenball Cercle hält – haben leutselig die Unterhaltung auf mein Fach hinübergelenkt.«
    »Das ist eine falsche Darstellung, Bresser!« rief Martha. »Rudolf sprach ein Langes und Breites über die Weltlage, über den Drang, den er empfindet, da handelnd einzugreifen und Sie waren es, der dagegen die Behauptung aufstellte, daß man die Welt nicht umformen könne, bis sie nicht umgedichtet sei, und damit war das Gespräch bei der Dichtkunst angelangt.«
    »Das ist ja im Grunde dasselbe Thema«, bemerkte Sylvia, »das von denselben Streitern an jenem Gewittertage

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