Martha's Kinder
in der Politik – wirken höchstens die Gewaltmenschen, daher der Kultus für einen Napoleon oder einen Bismarck – –«
Rudolf schlug sich auf die Stirn:
»Sie haben mir da einen neuen Horizont eröffnet, Bresser ... Politiker und Künstler geringschätzen sich gegenseitig. Sie verstehen einander nicht. Ihre Gebiete sind zu getrennt. Ich sehe aber, daß sie sich verschmelzen sollten: als oberstes Prinzip hat – nicht nur in den Künsten – hat auch in der Lebenskunst, in der Regierungskunst die Schönheit erkannt zu werden. Und was die Lenker der Völkergeschicke leiten sollte, das müßte auch Begeisterung – nicht Berechnung sein.« Martha warf ihrem Sohn einen dankbaren Blick zu.
Jetzt wurde neuer Besuch gemeldet.
Es war Graf Kolnus. Nachdem er alle begrüßt und sich gesetzt:
»Ich bin gekommen, um – nein, noch nicht, um Abschied zu nehmen, aber um mein baldiges Verschwinden anzukündigen. Mich packt wieder einmal meine Reisewut.
»O weh«, rief Martha. »da bleiben Sie uns wieder auf ein, zwei Jahre verschollen – Sie sind ein so unmäßiger Reisender – und ich entbehre Sie schwer so lange ... Wohin diesmal?«
»Diesmal nach Indien – dort war ich noch nicht. Vielleicht auch einen Abstecher nach Japan.«
Sylvia lachte. »Abstecher ist gut.«
»Willst Du mitkommen?« wandte er sich an Rudolf. Dieser schüttelte den Kopf. »Doch warum frage ich? Wenn man Weib und Kind hat und Mutter und Schwester, so hat man nicht diese erotischen Gelüste, nicht die Fernensehnsucht, die mich Einsamen alle paar Jahre packt, sogar noch jetzt in meinen alten Tagen. Wenn ich so recht müde geworden bin von dem hiesigen Einerlei, von dem Tritsch-Tratsch der Gesellschaft und dem Quitsch-Quatsch der Politik, da muß ich mich erfrischen in ganz fremder Landschaft, unter Menschen, die nichts von uns wissen, wie ich nichts von ihnen weiß. Da lese ich keine europäische Zeitung, da gebe ich niemand meine Adresse, damit man mir von zu Hause ja nicht schreiben könne, »was es Neues gibt«.«
Kolnos blieb nur kurz. Er versprach, am selben Abend zu Martha zu Tisch zu kommen.
»Ich muß Sie vor Ihrer Europaflucht noch tüchtig genießen«, hatte sie ihm gesagt. »Sie gehören zu den wenigen Menschen, deren Existenz mir eine Wohltat ist – Ihnen kann ich immer alles sagen, was ich auf der Seele habe.«
Kaum war Kolnos gegangen, als wieder neuer Besuch eintrat – ein Besuch, der gleich fünf Mann hoch war: Exzellenz, Gräfin Ranegg mit vier Töchtern.
Diese Gelegenheit benützte Bresser, um sich neuerdings zu empfehlen, und Martha hielt ihn nicht mehr zurück.
Raneggs gehörten zu den nächsten Gutsnachbaren von Brunnhof und die Familien verkehrten sehr lebhaft miteinander. Zur Zeit, als Sylvia ihre Hochzeit feierte, war Gräfin Ranegg mit ihren Töchtern auf einer Italienreise begriffen gewesen, sonst hätten die vier schönen Schwestern sicherlich als Brautjungfern fungiert. Diese Mädchen nebeneinander zu sehen, war wirklich ein ästhetischer Genuß. Alle vier von hohem, schlankem Wuchs, von vornehmer und dabei natürlichster Anmut im ganzen Wesen. Die älteste, Cajetane, dreiundzwanzigjährig, hatte feingeschnittene regelmäßige Züge, dunkles Haar und schwarze Augen; die zweite, Christine, um drei Jahre jünger, war kastanienbraun mit lebhaft-schalkhafter Kapricenphysiognomie, und die beiden jüngsten, die achtzehnjährigen Zwillinge Ella und Bella, einander zum Verwechseln ähnlich – waren hellblond mit sanften Blauaugen und Madonnengesichtchen. Die Zwillinge waren immer gleich gekleidet, die zwei älteren verschiedenartig, alle vier mit höchster Einfachheit.
Das in hohem gesellschaftlichem Ansehen stehende Paar Ranegg – er bekleidete eine der ersten Hofchargen, sie war eine geborene Fürstin – besaß außer diesen reizenden Töchtern noch zwei wohlgeratene Söhne, beide im Militärdienst. Der ältere, noch nicht ganz dreißig und schon Ulanenrittmeister, der andere, im vergangenen Sommer ausgemustert, Leutnant bei den Dragonern.
In Wien sahen sich die beiden Frauen – Martha und Gräfin Ranegg – eigentlich nur selten, denn während die erste sehr zurückgezogen lebte, machte die andere ihren Töchtern zuliebe alle Unterhaltungen der großen Welt mit: Hof- und Kammerbälle, adelige Picknicks, erzherzogliche und aristokratische » on dancera «, Amateurtheater und Wohltätigkeitsbazare ... desto öfter sah man sich auf dem Lande. Für Martha war es immer eine Herzensfreude, mit dieser Familie
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