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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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andrerseits habe ich sechsundsechzig niemals ganz verwunden, und abgesehen von allen politischen Erwägungen, denen ich ja jetzt fernstehe, ist es mein Privatgefühl, daß man sich nirgends so wohl fühlen kann, wie in unserem alten Wien, und daß ein Mensch, der nicht im Ausland leben muß , zu Hause bleiben sollte ... Wie geht's dem Toni, ist er nicht da?«
    »Danke, es geht ihm gut. Er ist in einer Sitzung ...«
    »Ah? Und was macht Rudolf? Sagen Sie mir, Sylvia«, fügte er leiser hinzu, »könnten Sie nicht ein bißchen ihren schwesterlichen Einfluß geltend machen und ihm seine Schrullen ausreden? ... Ich meine es ja gut ... er fängt an, bei vielen Anstoß zu erregen – er kann sich noch ganz unmöglich machen ...«
    »Womit – was meinen Sie?«
    »Mit seinen verschrobenen Ideen ... Neulich, im Kasino, wir waren da lauter Staatsmänner und Militärs, machte er einen Ausfall gegen die ganze Gesellschaftsordnung, als ob er ein roter Sozi wär' ... das verstehen Sie nicht ... ich war wie auf Nadeln ... geben Sie ihm einen Wink.« Dann wandte er sich wieder laut zu Bresser:
    »Sie haben ja ein Stück geschrieben, das in Berlin aufgeführt worden ist – hat mir neulich Ihr Vater erzählt. Hoffentlich nicht im neuen, naturalistischen Genre, was? – wie ein gewisser Hauptmann –«
    »Hm«, machte Bresser, »der gewisse Hauptmann hat das Zeug, einer unsrer großen Dichter zu werden – ich maße mir nicht an, ihm gleichzukommen.«
    »Trachten Sie unserem Grillparzer gleichzukommen?«
    »Auch das maße ich mir nicht an – ich versuche überhaupt nicht, irgend jemand nachzuahmen. Mein Glas ist klein, aber ich trinke aus meinem Glase, sage ich mit Alfred de Musset.«
    Als der Vorhang wieder aufgezogen wurde, entfernte sich Herr von Wegemann. Hugo, durch ein Zeichen Sylvias aufgemuntert, blieb zurück.
    Sie wandten nun schweigsam ihre Blicke der Bühne zu. In schwellenden Wogen flutete die Musik durch den Saal. Was der abwechselnd süße und heroische Gesang, was die Harfenklänge und die rauschenden Akkorde des Orchesters ausdrückten, das empfanden die beiden jungen Menschenkinder als die Offenbarung dessen, was sie einander zu sagen hätten – wie eine Art melodische Gedankenkommunion.
    Beim folgenden Zwischenakt kamen wieder einige Besucher in die Loge, und diesmal räumte ihnen Hugo den Platz.
    Als er sich von Sylvia empfahl, frug er, ob sie gestatte, daß er morgen seinen Abschiedsbesuch mache, da er am übernächsten Tag nach Berlin zurückreisen werde.
    Diese Nachricht versetzte ihr einen leisen Schlag – die Anwesenheit des jungen Dichters in Wien hatte ihr eine Erhöhung des Lebensinteresses bedeutet.
    »Wie? so bald schon?« rief sie, ihm die Hand schüttelnd. »Also morgen! Um halb fünf«, fügte sie leiser hinzu – die anderen brauchten es nicht zu hören.
     
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    Am folgenden Tag zur bezeichneten Stunde fand Hugo die junge Frau allein.
    Als er ihren kleinen Salon betrat, erhob sie sich vom Klavier, auf dessen Pult die Partitur des »Propheten« aufgeschlagen war.
    Sie begrüßte ihn mit erzwungen ruhiger Freundlichkeit. Und nachdem sie sich gesetzt hatten:
    »Also wirklich – Sie wollen sich verabschieden? ... Der Entschluß zu dieser Rückreise scheint Ihnen plötzlich erst gestern abend gekommen zu sein?«
    »Ja, Gräfin, gestern abend.« Eine Pause
    »Ihrem Vater wird es leid tun.«
    »Meinem Vater tut es sehr leid.«
    Nach einer abermaligen Pause sagte Sylvia:
    »Mir auch ... Sie stellen doch ein Stück meiner ersten Erinnerungen dar – als Kinder haben wir oft miteinander gespielt und jetzt – ich gestehe, ich habe mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen ... und so – gewachsen zu sehen. Was Sie alles von Ihren dichterischen Versuchen und Erfolgen erzählen, interessiert mich ... Der Einblick in einen Künstlergeist ... kurz, es tut mir sehr leid, daß Sie abreisen ...«
    »Wenn Sie es befehlen, so bleibe ich.«
    »Ah, ich habe nichts über Sie zu befehlen«, antwortete sie rasch.
    Sie war über diese Wendung erschrocken. Vielleicht wäre es besser, wenn er abreiste ... sie erriet, daß sein Motiv dazu dieselbe Gefahr sei, die auch ihr vorgeschwebt.
    »Sie haben alles über mich zu befehlen! – Wenn ich Ihnen aber einen Einblick – nicht in einen Künstlergeist, sondern in ein armes Menschenherz gäbe, Sie würden mir vielleicht gebieten, nicht nur daß ich jetzt abreise, sondern daß ich überhaupt nie wieder komme. Sie verstehen, was ich sagen will ... ich sage es aber nicht, weil

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