Martha's Kinder
–« Sie stockte errötend. Hätte sie von dem Tag reden sollen und zeigen, daß sie sich so genau erinnerte an alles, was damals getan und gesagt worden? Hätte sie sich dem Dankesblicke aussetzen sollen, der sie jetzt aus Hugos Augen traf? Sie zog ihre Hand aus dem Muff und atmete an dem halbwelken Veilchensträußchen, das darin verborgen gewesen.
Jetzt nahm Rudolf das Wort:
»Ich erwiderte, daß die Kunst keine Kultur-Umwälzungen hervorbringen kann. Eine Gegend wird verwandelt durch vulkanische Erschütterungen, durch hereinbrechende Fluten – aber nicht durch Blumenzucht.«
»Blumenzucht!« rief Bresser. »Als ob die Kunst ein so harmlos-heiteres Spiel wäre – als ob nicht auch sie mitunter so glühend wie Lava aus den Tiefen der Menschenseele strömte...«
Lachend fiel Baronin Tilling ein: »Sie sind doch nicht exaltiert? ... Wenn ich denke, was für ein natürlicher, nüchterner, beinahe trockener Mann mein alter Freund, Ihr Vater, ist!« – Absichtlich goß sie diesen kleinen Wasserstrahl auf Hugos feurige Art. Sie hatte beobachtet, wie bewegt ihre Tochter ihn angeblickt und erinnerte sich der Mitteilung, die ihr Rudolf an Sylvias Hochzeitstag gemacht: Hugo sei abgereist, weil er Sylvia liebte.
»Sie finden mich überspannt, gnädigste Baronin? Darf man denn bei meinem Berufe ganz nüchtern sein? Mein Vater ist Arzt und ich bin – – daß es doch für unseren Kunstzweig keinen bescheidenem Namen gibt! Es kann einer ohne Anmaßung von sich sagen: ich bin Bildhauer, bin Musiker ... aber »ich bin Dichter«, klingt so eingebildet – denn das Wort bedeutet nicht allein die Ausübung, es drückt schon die sieghafte Bewältigung dieser Kunstgattung aus ... und weil ich davon so weit, ach so weit bin, darf ich mich wohl nicht Dichter nennen – sagen wir: Wortziselierer, Traumbändiger – –« »Bändiger ist auch ein siegreicher Begriff«, sagte Sylvia.
»So nehme ich auch diese Bezeichnung zurück. Es ist ja richtig: die Träume unterwerfen eher mich als ich sie... Bilder, Gestalten drängen sich mir auf... sie rufen nach Ausdruck – sie lassen mich nicht, ehe ich sie aufs Papier gebannt...«
»Und so sind Sie denn daran, die Welt »umzudichten«?«
»Absichtlich? Planmäßig? Nein. Der Genius der Kultur baut die Welt von selber um – er zwingt nur die Künstler, ein paar Bausteine zuzutragen, ohne daß sie es wissen.«
»Von selber geschieht gar nichts«, warf Rudolf ein. »Als ich noch Publizist war und plante, eine große Zeitung zu redigieren, da hatte ich auch so etwas im Sinne, wie Sie, Graf Dotzky: auf die Welt reformierend einzuwirken. Das ist mir, seit ich mich der Dichtkunst, der lyrisch und dramatisch schaffenden, hingegeben habe, ganz verloren gegangen. Vielleicht auch deshalb, weil ich das leidige Zeitungslesen aufgegeben habe, mich um die Tagesereignisse gar nicht kümmere und mich in die Dichterwerke der alten und neuen Zeit vertiefe. Da hat sich eine ganze Phantasiewelt um mich aufgebaut, bevölkert von tausend Gestalten: Götter, Helden, Könige, Feen, Heilige. – Gestalten, die den Köpfen von Homer, Dante, Shakespeare, Corneille, Goethe entstiegen sind. Von den neueren und neuesten gar nicht zu reden – und ich habe alle Modernen gelesen, auch die Russen und Skandinavier. Und da sind es nicht allein die erdichteten Geschöpfe, die mich gefangen nehmen – da ist es auch die technische Seite der Dichtung – der Stil, die Musik der Sprache, das Virtuosentum auf dem Instrument des Worts ... das ist's, was mich entzückt und was mir anzueignen mich als leidenschaftlicher Kunstehrgeiz erfüllt. Schönheit, Schönheit: die erscheint mir als die höchste Offenbarung unseres Genius ... und was man der Schönheit abzuringen vermag, das bereichert, das veredelt uns selber und unser ganzes Geschlecht ... Auf diese Art kann auch der einzelne Künstler, wenn er nur seine liebende Kraft anstrengt, wirklich den Schatz der Kultur vermehren, wirklich das eigene Gehirn und die Gehirne der Mitwelt feiner modeln und so an dem Entwicklungswerk des Menschengeistes helfend mitschaffen – besser als durch alle politischen und ökonomischen und sozialen Spekulationen und Maßregeln. Es ist nicht zu sagen, welche Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Verachtung, mich über all das kleinliche Getriebe erfaßt hat ... man sehe doch – in dem sogenannten öffentlichen Leben – die Enge der Interessen, die Flachheit ihrer Vertretung, die Häßlichkeit und Gemeinheit der Kampfweise. Ästhetisch –
Weitere Kostenlose Bücher