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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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männliche Jugend, aber die wird hinkommandiert – die Mehrzahl der Tänzer besteht aus den ganz Jungen: Gymnasiasten, Theresianisten. Väter, Mütter, Töchter und Flaumbärte: das ist das Kontingent unserer Ballsäle. Auch junge Frauen sieht man da wenig – die haben ihre Diners und Spielpartien – dort verkehren auch unsere Herren lieber – –«
    »Vielleicht wird die Sitte des Tanzens ganz aussterben«, sagte Martha. »Es ist schon einmal so – die Welt verändert sich.«
    »Leider!«
    »Ich sage nicht leider. Platz dem Neuen ... Und so langweiligen sich Deine Töchter?«
    »Langweilen? O nein ... hörst Du, wie sie dort mit Deinen Kindern lachen – sie sind, Gott sei Dank, stets so guter Laune.«
    »Wie geht es Deiner Mutter?«
    »Danke – nicht gar gut. Sie spürt ihre fünfundachtzig Jahre ... Wir sind sehr viel bei ihr ... jeden Abend bringt eine oder die andere von den Mädchen bei ihr zu – und oft streiten sie, welche von ihnen den Vorzug haben kann, statt auf den Ball, zur Großmutter zu gehen. Jetzt aber« – Gräfin Ranegg stand auf – »müssen wir wieder fort ... Kinder, kommt!«
    »Das war ein kurzer Besuch!«
    »Wir haben noch ungefähr siebzehn Visiten zu machen. – Wenn das keine corvée ist! Nächstens will ich übrigens auf einen ganzen Nachmittag zu Dir kommen – auf einen ordentlichen ›Plausch‹.«
    »Tu' das! Wir hätten uns so viel zu erzählen.«
    Nachdem sich die Tür hinter den Besucherinnen geschlossen hatte: »Diese Familie ist mein Kreuz«, rief Rudolf. »Ein wahrer Jammer!«
    »Aber, aber!« machte Martha vorwurfsvoll, »wie kannst Du so etwas sagen? Ich kenne keine lieberen achtungswerteren Menschen.«
    »Das ist ja eben der Jammer ... Soll ich Dir das erklären?«
    »Ja, da wäre ich neugierig.«
    »Nun denn: Ich erinnere mich, einmal dem Gärtner den Befehl erteilt zu haben, einen gewissen Baum umzuschlagen, dessen Stamm hohl war. Beim nächsten Sturm konnte er umfallen und dabei vielleicht Schaden anrichten, also war es besser, ihn gleich zu fällen. Und während ich das Todesurteil sprach, blickte ich in die Krone hinauf und sah da ein Vogelnest, aus dem die Jungen die Hälse streckten und das die Alten umkreisten. »Lassen wir's«, – sagte ich zum Gärtner – »vielleicht hält der Baum noch den ganzen Sommer aus« – Verstehst Du, was ich meine? So stehen wir sogenannten Reformatoren auch vor morschen Gesellschaftsordnungen und meinen, es müßte da die Axt angelegt werden; in dem Laubwerk aber, das den hohlen Stamm krönt, da haben sich die lieben, glücklichen Vöglein ihre Nester gebaut. Ihre ganze Existenz ist an die Existenz des Baumes gebunden – was liegt ihnen an der innern Fäulnis des Holzes, solange die Blätterfülle ihres Astes grünt? Hier wohnen sie und singen sie und ziehen ihre Kleinen groß. Und siehst Du – denselben Eindruck macht mir das Bild einer Familie wie die Raneggs ... ihr ganzes Glück, ihre ganze Würde ruht auf den Einrichtungen –.«
    »Ich verstehe«, ergänzte Martha, »auf den Einrichtungen, die innen morsch sind und gegen die Du ankämpfen willst –.«
    »Ja – und so ist mir dieses Ankämpfen erschwert. Wären schon alle Äste dürr, wäre statt der lieblichen Singvögel nur mehr ekles Gewürm auf dem Baum, da brauchte man nicht zu zögern mit dem Fällen ... wäre die Aristokratie durchaus verderbt und wären die Soldaten milde Räuberseelen, wie viel leichter wäre es da, die Adelsprivilegien und den Militarismus abschaffen zu wollen ... Aber wenn man solche Familien sieht wie diese, deren ganzer Sinn auf den alten Traditionen ruht – wie das Vogelnest auf dem Ast –, deren Söhne mit Stolz und Freuden dienen, deren Töchter auch wieder bestimmt sind, auf dem Nebenast zu nisten – und dabei so holde, so makellose Geschöpfe sind, wie z. B. diese Ranegg-Mädchen (ich gestehe, wäre ich frei, die Cajetane könnte es mir antun ...) da vergeht einem die Lust, zerstörend – oder auch nur störend dreinzufahren und –«
    »Und« – fiel Sylvia ein – »man sagt dann dem Gärtner: »Lassen wir's noch.« »Besonders«, fügte sie hinzu, »wenn man wie wir eigentlich, zur selben Vogelgattung gehört.«

XV.
    An diesem Abend ging Sylvia in die Oper. Auf dem Zettel stand »Der Prophet« und darin war Antons Flamme nicht beschäftigt. Sylvia pflegte nur die Opern zu besuchen, in denen jene nicht sang.
    Sie war allein in ihrer Loge; ihr Mann hatte sie nur hergeleitet, dann aber, eine wichtige Sitzung vorschiebend, das

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