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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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am vorigen Sonntag im Musikvereinssaal –«
    »Ach ja – der Dotzky«, fiel ein anderer ein. »Nun, wie war's?«
    »Furchtbar vieux jeu , alte Leier – Leitartikelstil – Kanzelgeist im Journalistendeutsch. Hervorkehrung überwundener Standpunkte. Wichtigtuende Naivität. Segensgesten mit der Don-Quixote-Lanze, die bekannte Idealmeierei. Fortschritt, Freiheit, Menschenliebe, allgemeiner Wohlstand – mit einem Wort, Quatsch. Der gute Mann hat keine Ahnung von der Umwertung der Werte, er weiß nichts vom Adel des Herrenmenschen, der vor allem dem Gebote folgen muß: »Werde hart.« Der wird kein Überwinder sein. Was er eigentlich will, weiß ich nicht weiß er vermutlich selbst nicht. Soviel ist sicher: davon weiß er nichts, daß des modernen Menschen einziges Ziel sein soll: eine Individualität sein und – sich ausleben.«
    Rudolf zögerte. Sollte er sich umwenden und der Tischgesellschaft sich vorstellen? Dem überlegenen Individuum – das sich auslebte – eine kleine Verlegenheit bereiten und dann seinen Standpunkt behaupten?
    Er widerstand der Versuchung und lauschte weiter. Man sprach nicht länger von ihm, sondern knüpfte an das Gesagte an, um über Nietzsche zu dissertieren, und langte bald wieder bei den eigenen Angelegenheiten an, der geplanten Herausgabe einer »ultravioletten Revue«. Das interessierte Rudolf weniger. Er zahlte und ging. Er schlenderte über die Ringstraße, in Nachdenken versunken. Was er da gehört hatte, summte ihm im Kopfe nach. Besonders das Wort Überwinder.
    Wodurch wird das Überwinden gar so sehr erschwert? – Dadurch, daß die Arbeit derer, die etwas überwinden wollen, lange vor ihrer Vollendung von jenen unterbrochen wird, die ihrerseits die Überwinder zum Gegenstand der Überwindung machen wollen. Da bemühte sich z. B. eine junge naturalistische Schule, den verlogen gewordenen Idealismus zu verdrängen; und noch war sie in voller Gärung, noch hatte sie ihre Meisterwerke nicht hervorgebracht, so war schon eine neue romantische Schule daran, den Naturalismus für überwunden zu erklären. Das erste, was manche Leute von einer neuen wissenschaftlichen Theorie erfahren, ist, daß man sie schon längst widerlegt und abgetan hat. Verbreitet wird sie viel später als abgeurteilt. Und nun gar der große Kampf, dem Rudolf sich angeschlossen hatte: die Überwindung der jahrtausendsten Institutionen menschlicher Unfreiheit, ein Kampf, der kaum erst begonnen hat, und zu seiner Austragung der rastlosen und kraftvollen Anstrengung mehrerer Generationen bedürfen wird – der soll auch schon als veraltete Philisterei belächelt werden? ... Wahrlich, Schlagworte wechseln heutzutage schneller als Hutmoden. Man darf sich ja – in der geistigen jeunesse dorée – gar nicht mehr sehen lassen mit einem vorjährigen Ideal! Erst dann läßt sich wieder damit hervortreten, wenn es eine Zeitlang »überwunden« gewesen, und die Reihe an die Überwinder kommt, ihrerseits »vieux jeu« zu werden. In immer rascherem Tempo spielt sich dieses Hin und Her ab, dieses Altwerden des Neuen und Wiederneuwerden des Alten – mit Hinzukommen von wirklich noch nie dagewesenen Begriffen und Dingen. Man müßte dabei ganz haltlos, schwindlig und rasend werden, wenn es nicht ein paar feste, ruhige Punkte gäbe, – einiges, das unter all diesem Wirbelnden, Flüchtigen, Aufblitzenden und Untertauchenden als das Ewigragende erscheint ... Zum Beispiel – Rudolf suchte nach solchen Ewigkeitsbegriffen – zum Beispiel: Liebe, Güte. Er mußte unwillkürlich lächeln: Da bin ich ja wieder mitten drin in der – wie sagte doch der hartgesottene Auslebe-Jüngling – alten Idealsmeierei.
    Ein Vorübereilender stieß an ihn an. Da hob er den Kopf und bemerkte, daß er sich vor dem Tor des von der Familie Ranegg bewohnten Hauses befand.
    Dem Impulse, hier einen Besuch abzustatten, folgte er rasch.
    »Die Frau Gräfin zu Hause?« fragte er den Portier.
    »Zu dienen, gräfliche Gnaden«, antwortete der Mann und gab das Glockenzeichen.
    Oben ließ ihn der Diener ohne vorherige Meldung in den Salon ein. Gräfin Ranegg und ihre Töchter Cajetane und Christine saßen um einen in einer Salonecke stehenden runden Tisch, auf dessen Mitte eine schirmbedeckte Lampe brannte, und der mit Büchern, Arbeitskörben und Schreibmaterial bedeckt war.
    Als Rudolf eintrat, erhoben sich alle drei Stimmen, um ihn zu begrüßen; es schien ihm, als wäre unter den Ausrufen: »Ah, Sie? – Ah, Graf Dotzky – Das ist schön!« auch ein

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