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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bertha von Suttner
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Dich verstanden.
    »Ja, ja, man wird nur immer von solchen richtig aufgefaßt, die ohnehin gleicher Meinung sind. Aber die anderen hinzureißen – und darauf kommt es doch an ...«
    »Hinreißen? Ich meine: überzeugen, darauf käme es an. Auch das ist eine schwere Sache, die nicht mit einem Male gelingen kann. Es ist schon viel getan, wenn es gelingt, Gleichgesinnte in ihrer Gesinnung zu bestärken. Darum – weißt Du – ich hätte lieber gesehen, wenn Du Deine Kraft in den Dienst einer abgegrenzten Bewegung gestellt hättest, dieselbe, die in meinen roten Heften –«
    »Du meinst, wenn ich als Mitarbeiter und Redner mich an den Friedenskongressen beteiligt hätte?«
    »Allerdings – da hättest Du Gleichgesinnte bestärken und auch nach außen hin besser wirken können, auf einem bestimmten Gebiet. Das Allumfassende verliert sich ins Weite: qui trop embrasse, mal étreint. Du willst doch als Lehrer auftreten? Also trage den schwachen Schülerköpfen auf einmal doch nur einen Gegenstand vor; versuche nicht – besonders wenn Analphabeten darunter sind, sie in einer Unterrichtsstunde zu Enzyklopädisten zu machen.«
    Rudolf wiegte lächelnd den Kopf:
    »Deine Kritik, liebste Mutter, ist noch strenger als die der Herren Berichterstatter.« In den nächsten Tagen erhielt Rudolf wieder Briefe von der anonymen Anbeterin; dazu noch andere Epistel verschiedener entzückter Zuhörerinnen, die ihn – ganz wie dies gefeierten Schauspielern und Sängern zu geschehen pflegt – um Autogramme baten, oder gar zum Stelldichein bestellten. Ferner Anfragen von auswärtigen Vereinen, ob nicht im Laufe der Wintersaison ein Vortrag zu erlangen wäre.
    Er antwortete bejahend; er wollte so oft als möglich sprechen. Obwohl ihm die erste Probe einen so bitteren Nachgeschmack gelassen, so sehnte er sich danach, wieder und immer wieder dem lauschenden Volke mitzuteilen, was er als Heilswahrheit empfand, und durch unermüdlich wiederholte Predigt dahin zu wirken, daß die Zahl der Einsichtigen sich mehre, welche helfen sollten, den Eintritt einer lichteren Ära zu beschleunigen. Und wenn es eine Kunst war, durch das gesprochene Wort die Menge zu überzeugen, zu trösten, aufzurütteln, mitzuziehen, nun so würde er, durch die beiden unentbehrlichen Gehilfen jeder Kunst – Fleiß und Übung – vielleicht auch zur Meisterschaft gelangen. Dann ein Herrscher sein, um besser dienen zu können. Denn einzig um den Dienst der Sache war ihm zu tun. Und um die Erfüllung des eigenen Gewissensgebots. Auch eine Art Kampfgier war in ihm erwacht – ein zorniger Drang, aller gleißnerischen Niedertracht die Maske abzureißen; ein Drang, der Gesellschaft ins Gesicht zu sagen, wie viel bodenlos Dummes und bodenlos Böses er hinter ihren hochmütigsten und umschmeicheltesten Leuten und Dingen sah. Freilich ist durch Gesetze dafür gesorgt, daß niemand alles sagen kann, was er denkt. Gegen Verächtlichmachung sind manche Dinge und Leute geschützt, denen es nicht verwehrt ist, verächtlich zu sein und Verächtliches zu tun.
    Rudolfs Auftreten als öffentlicher Redner hatte in Wien nicht das Aufsehen erregt, das seine Freunde und er selber davon erwartet hatten. Denn abgesehen von dem, was er gesprochen, wäre es ja doch jedenfalls als ein Sensationsereignis zu betrachten gewesen, daß ein Mann in seiner Stellung so auftrat – und man hätte doch – wie es Achtungserfolge gibt – auf einen Staunenserfolg rechnen können. Neunzig Hundertstel der Einwohnerschaft hatten das Ereignis einfach nicht bemerkt, und jener Bruchteil, der den Vortrag gehört oder darüber gelesen, war davon nicht erschüttert. Die Anwesenden erzählten wohl ihren Bekannten, daß sie dabei gewesen, was aber der Inhalt des Vortrags war, hätten die wenigsten erzählen können und die begnügten sich, ein summarisches Urteil abzugeben – meist sehr von oben herab.
    Zufällig hatte Rudolf Gelegenheit, ein Gespräch über seinen Vortrag zu belauschen. Es war in dem von Künstlern und Literaten viel besuchten Kaffeehaus an der Ecke der Kärthnerstraße und Wallfischgasse. Er war hineingegangen, um ein paar ausländische Blätter zu sehen und setzte sich an ein Fenster. Um einen Nebentisch, der er den Rücken kehrte, saßen ein paar junge Schriftsteller, die sich über ihre neuesten ultramodernen Arbeiten unterhielten.
    Nach einer Weile aber stockte das Gespräch. Da ließ einer, ein ungefähr neunzehnjähriger Jüngling mit einer Froschphysiognomie, die Bemerkung fallen:
    »Ich war

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