Martha's Kinder
Hugos Photographie, die unter anderen Bildern in einer Schatulle auf dem Tisch lag, und das in ihrem Schreibtisch verschlossene Heft der ihr gewidmeten Gedichte.
Sie nahm beides und ging damit ins Schlafzimmer zurück. Hier zündete sie die Kerzen am Toilettentisch und am Ankleidespiegel an. Sie wollte Helle um sich haben.
Auf dem Toilettentisch erblickte sie die Blumen, die sie am Abend an ihrem Kleiderausschnitt stecken hatte – nunmehr verwelkte, aber desto stärker duftende Tuberosen. Sie nahm das Sträußchen auf und sog dessen betäubenden Atem ein – das brachte ihr die ganze Stimmung des herrlichen Theaterabends zurück.
Dann setzte sie sich auf dem Toilettensessel nieder, ihrem eigenen zurückgestrahlten Bilde gegenüber. Abwechselnd sah sie auf dieses und auf Hugos Photographie, blätterte in dem teueren Heftchen und küßte die sterbenden Tuberosen.
Was in den glühenden, so oft gelesenen Liedern stand, und was sie als ihr dargebrachte Huldigung hingenommen und als kunstvolle Poesie bewundert hatte – das verstand sie jetzt alles und glaubte es ihm. Was er von seiner Liebe sprach, das war ja auch von dem gleichen Gefühl diktiert, unter dessen Bann sie selber erglühte. Ebenso sehnsüchtig mußte er ihrer gedenken, wie sie seiner; ebenso tief unglücklich würde er sein, wie sie, es wäre im Falle hoffnungsloser Trennung, ebenso überirdisch selig beide, wenn sie einander angehören ... Sie hatte Großes zu vergeben und zu versagen – in ihrer Hand lag das Glück und das Unglück zweier Menschen. Sie malte sich beides aus, in wonneschwülen und in schmerzlichen Bildern. Eine Zärtlichkeit überflutete sie, wie sie niemals ähnliches empfunden.
Nachdem sie eine Stunde so gesessen, wurden ihre Lider schwer. Süße Schlaflust befiel sie. Sie mußte sich aufraffen, um nicht auf dem Sessel einzuschlafen. Sie stand auf, verlöschte die Lichter, ließ den Schlafrock fallen und schlüpfte wieder unter die seidenen Decken.
Hugos Bild und Gedichte, sowie das Blumensträußchen hatte sie unter das Kopfkissen geschoben, und es währte kaum fünf Minuten, so lag sie in tiefem, – aber nicht traumlosen Schlaf.
Um den Stuck-Plafond des Schlafzimmers lief eine durch Rosenguirlanden verbundene Bande schwebender Amoretten. Als ob diese Rosen entblättert auf die Schläferin herabschneiten, so lind und so betäubend war der Traum, der sie umfing.
Vom Arm des Geliebten weich umschlungen, schaukelte sie in einer Barke auf saphirblauem See. Längs der Ufer, Gärten und Terrassen, Haine voll rieselnder Blütendolden, Säulen und Statuen, weiße Pfauen und funkelnde Paradiesvögel, sprühende Fontänen – das Ganze in magische Farben getaucht, bald in Purpur eines Sonnenunterganges erglühend, bald in violettem Glanz, als wäre über See und Land elektrisches Veilchenlicht ergossen; über der Barke ein goldenes Dach und auf ihrem Boden ein mit sterbenden Tuberosen überstreuter Teppich aus Hermelin. Kühlfächelnde Lüfte, und von weitem süße Musikklänge – ein Festesrausch für alle Sinne; aber jedes andere Entzücken überragend: das leidenschaftliche Vollglück ihrer Liebe – –
Vielleicht hatte dieser Traum mit allen seinen Bildern nur eine Sekunde ausgefüllt, aber im Gedächtnis der Erwachenden war's als hätte er stundenlang gedauert. Als sie die Augen öffnete – es war schon Tag – da machte sie sie schnell wieder zu, um sich den Traum zurückzurufen und ihn womöglich weiter zu träumen. Das Weiterträumen gelang nicht; aber das Zurückversetzen in seine Stimmung brachte ihr – als wär's ein Erlebnis, eine Offenbarung gewesen – ein neues Bewußtsein, eine neue Kenntnis, die Kenntnis eines Seligkeitsgrades, von dem sie bisher nicht geahnt hatte, daß ihr Lebensthermometer ihn erreichen könnte.
An diesem Morgen wollte sie nicht mit Anton zusammenkommen. Sie ließ sich die Frühstücksschokolade auf ihr Zimmer bringen, ebenso die Zeitungen. Sie verschlang die Berichte über die gestrige Erstaufführung. Es waren nur kurze Notizen in der Theater- und Kunstrubrik – die eigentlichen Besprechungen pflegen erst in den folgenden Tagen die Feuilletons zu füllen – aber schon heute war in sämtlichen Blättern der volle Erfolg konstatiert und der Verfasser des »toten Sternes« als ein lebendiger, am Dichterhimmel glanzvoll aufgehender Stern begrüßt.
Sylvia labte sich an diesen Kritiken. Sie genoß das Lob, als wäre es eine ihrer Liebe erteilte Sanktion.
Und was nun? Lange blieb sie in
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