Martin, Kat - Perlen Serie
Nachdem der Ba- ron ihr untersagt hatte, auf die Schule zurückzukehren, hatte Tory nur vereinzelte Briefe von Grace bekommen, und da Tory wegen all ihrer familiären Sorgen noch seltener geantwortet hatte, hatten sie bald nichts mehr voneinander gehört.
Trotzdem würde Grace sie auf den ersten Blick wieder er- kennen, selbst in ihrer Aufmachung als Hausangestellte. Tory musste es daher um jeden Preis vermeiden, sich in der Nähe des Speisezimmers blicken zu lassen.
„Ah, da sind Sie ja, Mrs. Temple."
Tory erstarrte, als sie hinter sich die tiefe, vertraute Stimme des Karls vernahm. Sie atmete tief durch und drehte sich zu ihm um.
„Guten Tag, Mylord."
„Ich wollte mich nur vergewissem, dass Sie die Vorbereitun- gen für den heutigen Abend im Griff haben."
„Ja, Mylord. Ich war gerade dabei, die Sitzordnung festzule- gen."
„Sind Sie mit den diesbezüglichen Konventionen vertraut?" Er wirkte hochmütig und distanziert, und sie konnte kaum glauben, dass er jemals das geringste Interesse an ihr gezeigt hatte. Sie wünschte nur, dass ihr Interesse an ihm genauso schnell verfliegen würde ...
„Die Gäste nehmen ihre Plätze gemäß ihrem Rang ein, My- lord."
Zustimmend nickte er. „Dann werde ich alles Weitere Ihnen überlassen." Er drehte sich um, und Tory sah ihm nach, wie er sich langsam von ihr entfernte. Sie versuchte vergebens, nicht sehnsüchtig auf seine breiten Schultern zu starren, seine lan- gen, muskulösen Beine oder seine kraftvollen und zugleich ele- ganten Bewegungen zu bewundern. Sehnsüchtig erinnerte sie sich an seine Hände, die ihre Brüste liebkost hatten, oder an das überwältigende Glücksgefühl, das seine Berührungen in ihr auszulösen vermochten...
„Tory!" Claire kam durch die Eingangshalle auf sie zugeeilt. Tory hatte ihre Schwester gebeten, in der Küche bei den Vor- bereitungen für das Abendessen zu helfen, um sicherzugehen, dass die anderen Dienstboten auch tatsächlich ihrer Arbeit nachgingen.
„Was gibt es denn, meine Liebe?"
„Mrs. Reynolds hat soeben gekündigt. Sie war sehr verärgert darüber, dass du ihr gesagt hast, sie solle mehr Rosmarin und Thymian in die Bratenfüllung geben. Außerdem hat sie sich geweigert, die kleinen Früchtekuchen in Rum zu tränken, und als ich ihr sagte, dass du die Sauce für den Spargel mit Zitro- nensaft abgeschmeckt haben möchtest, hat sie ihre Schürze auf den Tisch geworfen und wutschnaubend die Küche verlas- sen. Mrs. Whitehead, ihre Küchenhilfe, ist dann gleichfalls ge- gangen."
„Sie sind beide gegangen?"
„Ja sind sie, sie haben gesagt, sie würden erst dann wieder zurückkommen, wenn ... wenn du nicht mehr im Hause Seiner
Lordschaft arbeitest."
„Ach du liebe Güte!" Tory eilte hastig die Treppe hinunter. „Ich kann das kaum glauben! Natürlich bin ich keine Köchin, aber ich weiß immer noch, was gut schmeckt. Und Mrs. Rey- nolds Mahlzeiten waren zwar genießbar, doch sie schmeckten viel zu fade. Ich dachte einfach ... Weißt du, ich habe in diesem wunderbaren französischen Kochbuch gelesen, das ich in der Bibliothek gefunden habe, und ich dachte mir, dass mit ein paar Gewürzen alles einfach besser schmecken würde."
„Mir scheint, dass Mrs. Reynolds da anderer Ansicht war."
„Es sieht ganz so aus."
In der Küche bot sich Tory ein chaotischer Anblick. Alle Töpfe schienen gleichzeitig zu kochen, Wolken von Dampf stiegen zur Decke auf, und aus der Feuerstelle züngelten wü- tende kleine Flammen. Miss Honeycutt stand hilflos mit weit aufgerissenen Augen da, und Mrs. Conklins knochige Hände zitterten vor Aufregung.
„Oh, Mrs. Temple", rief Mrs. Conklin. Sie war die ältere der beiden Frauen, hatte kräftige Hüften, strähniges blondes Haar und sprach mit einem leichten Cockney-Akzent. Von Anfang an war sie eine der wenigen Hausangestellten gewesen, die To- ry höflich begegnet waren. „Was um alles in der Welt sollen wir nur tun?"
Tory sah sich in der Küche um und entdeckte die Schüssel mit den Austern, die noch zu Suppe verarbeitet werden muss- ten, den Spargel, der noch nicht geschält war, und den Rinder- braten, der sich an einem Spieß über dem Feuer drehte.
Entschlossen straffte sie die Schultern und gab ihrer Stimme einen ruhigen und zuversichtlichen Klang, selbst wenn ihr nicht im Geringsten so zu Mute war. „Gibt es noch jemanden unter dem Personal, der etwas vom Kochen versteht? Viel- leicht Mrs. Rathbone?"
„Nein, Madam. Mrs. Reynolds und Mrs. Whitehead waren die Einzigen, und
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