Martin, Kat - Perlen Serie
hatte.
Vor fünf Jahren hatte er ihr Vertrauen enttäuscht. Und nun,
da er sie zu einer Ehe genötigt hatte, die sie gar nicht wollte,
hatte er es erneut getan.
Aber ein drittes Mal würde es nicht geschehen.
Rafe hatte Danielle versprochen, ihr Zeit zu lassen, und nach
dem Abend, an dem er sie beinahe verführt hätte, hatte er sich
auch darum bemüht, sein Versprechen zu halten. In den darauf-
folgenden Tagen hatte er die Kabine immer schon frühmorgens
verlassen, bevor Danielle aufwachte, und obwohl sie tagsüber
viel Zeit miteinander verbrachten und er sie immer zum Abend-
essen begleitete, hatte er sie doch nie mehr zu ihrem geheimen
Ort an Deck geführt. Vielmehr blieb er ihrer Kabine sogar des
Nachts so lange fern, bis er sichergehen konnte, dass Danielle
bereits schlief.
Rafe lehnte sich in seinen Sessel zurück und hörte, wie Ba-
ker leise fluchte, als er auch die nächste Runde verlor, doch in
Gedanken war er ganz woanders. In weniger als zwei Wochen
würden sie England erreichen, und seine qualvolle Enthaltsam-
keit hätte ein Ende. Danielle würde die Zeit gehabt haben, die er ihr versprochen
hatte, und er würde auf diese Weise - so hoffte er zumindest - ein wenig ihres Vertrauens zurückgewonnen haben.
Danielle warf einen prüfenden Blick in den Spiegel über dem Ankleidetisch. Der Sturm hatte sich gelegt, das Meer war wie- der einigermaßen ruhig, und auch Tante Floras Seekrankheit war vorüber. Danielle hatte ihr geflochtenes Haar aufgesteckt und ein hellblaues Wollkleid angezogen. Gleich wollte sie sich mit ihrer Tante im Salon zu einer Tasse Tee treffen, wie sie es jeden Nachmittag taten.
Danielle schüttelte den Kopf über ihr Spiegelbild. Sie sah müde und angespannt aus. Zum Teil lag das an Rafael und ihrer ungewissen Zukunft mit ihm, aber mindestens ebenso beunruhigend fand Danielle den Gedanken ihrer baldigen An- kunft in England.
Sobald sie erst einmal in London war, würde ihr Leben sich grundlegend verändern. Sie war nun nicht länger eine Ausge- stoßene der Gesellschaft, sondern die Duchess of Sheffield, aber wie konnte sie jemals die Vergangenheit vergessen, wenn sie wieder mit den Freunden und Bekannten verkehren sollte, die sie damals verstoßen und sie in der Stunde ihrer Not im Stich gelassen hatten?
Und dann Rafael... Seit dem Abend, an dem er sie so vertrau- lich berührt hatte, war er unerklärlich distanziert. Sie wusste, dass er versucht hatte, sie zu verführen - und an jenem Abend wäre es ihm auch fast gelungen.
Danielle war sich sicher, dass er die stille Verzweiflung in ih- ren Augen gesehen hatte, ihr dringendes Bedürfnis, ihn auf Ab- stand zu halten, bis sie mit sich selbst und der Ehe, in die er sie praktisch gezwungen hatte, ins Reine gekommen war. Obwohl sie noch immer das Bett teilten, hatte Rafe sie nicht mehr be- rührt und sie nie wieder so geküsst wie in den Nächten zuvor.
Danielle versuchte sich einzureden, dass sie dafür dankbar war und dass es das war, was sie wollte. Aber tief in ihrem In- nern war sie sich dessen auf einmal nicht mehr sicher.
Es mochte sein, dass sie Rafe nicht aus ganzem Herzen ver- traute, aber ihr Körper verzehrte sich in verräterischer Weise nach ihm. Des Nachts lag sie oft wach und dachte an ihn ... war versucht, die Hand nach ihm auszustrecken und seine bloße Haut mit ihren Lippen zu berühren.
Sie seufzte schwer und ging aus der Kabine, die Rafe bereits
wieder im Morgengrauen verlassen hatte. Da sie schon ein we- nig spät dran war, eilte sie den Korridor entlang zum Salon, wo ihre Tante sie bereits erwartete.
Tante Flora sah besorgt zu ihr auf. „Du verspätest dich sonst nie, meine Liebe. Ich hoffe, dass nichts Unangenehmes gesche- hen ist."
„Nein, ich war nur völlig in Gedanken versunken und muss darüber wohl ganz die Zeit vergessen haben."
Tante Flora runzelte ihre silbergrauen Augenbrauen. „Mir scheint, dass das noch nicht alles ist ..."
Danielle seufzte und nahm ihrer Tante gegenüber Platz. „Ich mache mir Sorgen darüber, was geschehen wird, wenn wir wie- der in England sind ... und in letzter Zeit fühle ich mich so furchtbar ... ruhelos."
Tante Flora griff nach ihrer Hand. „Ich weiß, dass du nun eine verheiratete Frau bist und es mir kaum zusteht, dir Rat- schläge zu erteilen, aber ..."
„Ich weiß Ihren Rat immer zu schätzen, Tante Flora."
„Gut, dann werde ich dir sagen, was ich denke. Zuerst lass mich dir sagen, dass ich selbst einmal verheiratet war und aus
Weitere Kostenlose Bücher