Martin, Kat - Perlen Serie
die anderen zur Verstärkung holen.
Am Ende der Treppe erstreckte sich ein langer Gang vor ihr. Die Tapete hing von den Wänden herab, und die Holzdielen waren alt und ausgetreten. Durch die Tür eines der Zimmer drangen Gesprächsfetzen zu ihr, und Grace konnte das schrille Lachen einer Frau hören.
Auf einmal wurde am Ende des Ganges eine Tür geschlossen, und Grace eilte sofort in diese Richtung. Sie hoffte inständig, dass Tory gesehen hatte, wohin sie gegangen war, und stellte sich vor, wie Ethan jeden Moment hinter ihr auftauchen und ihr zu Hilfe kommen würde.
Doch stattdessen sah sie einen langen Schatten, der plötz- lich auf den Gang fiel, und hörte, wie jemand eine Pistole entsi- cherte.
„Na, wen haben wir denn da?"
Angst griff mit kalten Fingern nach ihrem Herzen. Langsam drehte Grace sich um und sah sich einem klein gewachsenen Mann gegenüber, der ein übel aussehendes Gesicht und ver- faulte Zähne hatte.
„Was will denn so ein feines Ding an einem solchen Ort?" Grace straffte ihre Schultern, denn der Mann sollte nicht merken, wie groß ihre Furcht war. „Ich bin hier, um meinen Sohn zu holen."
„Das dachte ich mir fast." Er bedeutete ihr mit einem Wink seiner Pistole, ihm vorauszugehen. Grace zitterten die Knie. Am Ende des Ganges öffnete der Mann eine Tür und trat dann einen Schritt zurück, um Grace den Vortritt zu lassen.
In dem Zimmer sah sie den Botenjungen. Hastig steckte er sich eine Münze in seine Hosentasche und wandte sich zum Ge- hen. An der Tür warf er Grace einen kurzen Blick zu, sah den Mann, der ihr den Lauf seiner Pistole in die Rippen drückte, und rannte dann schnell zur Treppe.
Der klein gewachsene Mann schenkte ihm keine Beachtung und drängte stattdessen Grace weiter in den Raum. „Los, be- wegen Sie sich!"
Sie schluckte schwer. Ihre Handflächen waren feucht, und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Dennoch bemühte sie sich, gefasst zu bleiben. Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Be- wegung wahr und stellte fest, dass in dem schäbigen Zimmer noch ein weiterer Mann anwesend war. Grace stieß einen Laut der Überraschung aus, als sie den Mann erkannte, der sie hä- misch anlächelte.
„Sie!"
„Ja, ich. Willard Cox, immer zu Ihren Diensten. Ich kann mein Glück kaum fassen, dass das Flittchen vom Captain mir höchstpersönlich einen Besuch abstattet."
Ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben. Nur zu gut erin- nerte sie sich an den Zweiten Maat auf der Sea Devil - an den berechnenden, kaltblütigen Blick in seinen Augen, als er ihr das Hochzeitscollier abnahm und sie dann in das eisige Meer steigen ließ.
Grace hob ihr Kinn. „Wo ist mein Baby?"
„Wo ist Ihr werter Gemahl?", entgegnete Cox.
„Ethan wartet draußen", log sie. „Er kann jeden Moment kommen."
Cox lachte nur. „Das bezweifle ich. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal, dass Sie hier sind. Ich kann mich erinnern, dass Sie ein ziemlich draufgängerisches Ding sind. Ihr Wagemut hätte Sie schon einmal fast das Leben gekostet."
Unverwandt sah sie ihn an. Wenn man von den kalten grauen Augen absah, war Cox kein unattraktiver Mann. „Was haben Sie mit meinem Kind gemacht?"
Noch bevor er antworten konnte, kam aus dem angrenzen- den Zimmer ein Geräusch, und Grace erkannte sofort die ver-
trauten Laute. Ihr kleiner Andrew begann unruhig zu werden und fing an zu weinen! Sie musste zu ihm!
„Jetzt fängt das blöde Balg schon wieder an zu heulen", sagte der kleine Mann mit dem durchtriebenen Gesicht. „Hat mich die halbe Nacht mit seinem verdammten Geschrei wach gehalten. Hab dir doch gesagt, wir hätten ihn gleich loswerden sollen!"
Grace versuchte, die ängstliche Beklemmung in ihrer Brust zu beherrschen. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten, bis ihre Fin- gernägel in die Handflächen schnitten.
Cox blickte auf die Geldtasche, die in der Nähe der Tür auf dem Boden lag. „Entspann dich, Gillis. Jetzt, wo wir das Geld haben, kannst du von mir aus mit dem Kind machen, was du willst."
Der zwergenhafte Gillis grinste und entblößte seine verfaul- ten Zähne. Mit einem Ausdruck finsterer Genugtuung ging er zu der Tür, die in das andere Zimmer führte.
„Nein!" Grace stellte sich ihm in den Weg. „Lassen Sie ihn. Er ist noch ein Baby!"
„Aus dem Weg!" Mit solcher Kraft stieß er sie beiseite, dass sie gegen die Wand taumelte und zu Boden fiel. Ethan, dachte sie verzweifelt, hilf mir, unseren Sohn zu retten.
Wild entschlossen stand sie wieder auf und rannte zu der Tür, durch die Gillis
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