Martin, Kat - Perlen Serie
verschwunden war. Im hinteren Teil des Zimmers lag das Baby auf einem Haufen Lumpen, die wohl als Bett dienen sollten. Seine blaue Decke bot kaum ausreichend Schutz vor der Kälte.
Gillis stellte sich zwischen sie und ihr Kind. Voller Verzweif- lung holte Grace die Perlenkette aus der Tasche ihres brau- nen Wollrocks. Ihre Hand zitterte, als sie dem Entführer das Schmuckstück entgegenhielt. „Es ist ein Vermögen wert. Die Kette gehört Ihnen, wenn Sie mich und meinen Sohn gehen lassen."
Seine dunklen Augen funkelten, und er nickte bereitwillig. „Einverstanden. Geben Sie mir das Ding, und Sie kriegen Ihr verdammtes Balg."
Grace reichte ihm das Collier, und er riss es ihr aus der Hand. Dann steckte er den Schmuck in seine Hosentasche, und anstatt das Zimmer zu verlassen, stieß er Grace beiseite und wandte sich erneut dem Baby zu.
Er würde sie nicht gehen lassen! Sie hätte es wissen müssen,
hatte aber nichts unversucht lassen wollen. Verzweifelt sah Grace sich nach einer Waffe um. An der Wand lehnte ein alter Besen, dessen Strohborsten fast vollständig abgenutzt waren. Sie griff danach, stürzte durch das Zimmer und stellte sich zwi- schen Gillis und das Baby.
„Ich werde nicht zulassen, dass Sie ihm etwas tun."
Gillis grinste und ließ erneut seine faulen Zahnstümpfe aufblitzen. „Sie haben Schneid, Mädel. Nicht schlecht. Wenn ich mit dem Balg fertig bin, werd ich mal schauen, ob Sie mit einem Mann auf sich immer noch so viel Mumm haben. Und wenn ich genug hab, kommt Cox dran."
Er machte einen Schritt auf sie zu, doch anstatt mit dem Besen zum Schlag auszuholen, wie er vermutet hatte, ramm- te Grace ihm den Stiel wie eine Lanze in den Bauch. Ihr An- greifer stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus und fiel zu Bo- den.
Grace hörte, wie ihr Kind zu schreien begann, und dieser Laut allein war ihr Antrieb genug, weiterzumachen. Nun griff sie den Besen wieder beim Stiel und begann, mit dem struppi- gen Ende auf ihren Gegner einzuschlagen. Er hob seine Hän- de, um ihre Hiebe abzufangen, Grace hingegen war nicht zu besänftigen. Sie musste ihr Kind retten.
„Dafür werden Sie mir büßen! Ich werde Sie grün und blau schlagen und dann ..."
„Sie werden sie nicht anrühren, Sie räudiger Hund." Von der Tür her drang eine resolute Männerstimme zu ihnen, die ihr so vertraut war - Grace wirbelte herum.
Sie schluchzte erleichtert, und Tränen stiegen ihr in die Au- gen. „Ethan ..."
Wie der Pirat, als den sie ihn kennen gelernt hatte, betrat er nun mit finsterer Miene und geballten Fäusten das Zimmer. Sein Atem ging schwer, und seine Augen waren von einem so ei- sig kalten Blau, wie sie es bislang noch nie an ihm wahrgenom- men hatte. Unverwandt war sein Blick auf den Mann gerichtet, der ihr etwas hatte antun wollen.
Gillis sprang eilig auf und rannte auf Grace zu. Er riss ihr den Besen aus der Hand und schlug so fest auf sie ein, dass sie das Gleichgewicht verlor und abermals gegen die Wand tau- melte. In ihrem Kopf drehte sich alles, und das Letzte, was sie hörte, war Ethans wutentbrannter Aufschrei. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Ethan hieb Gillis so fest mit seiner Faust in den Magen, dass der schmächtige Mann in sich zusammensackte. Dann griff Ethan den Entführer beim Kragen seines Hemdes, hob ihn hoch und versetzte ihm einen harten Schlag ins Gesicht, der seine Nase bluten ließ. Der Mann versuchte, sich zu wehren und sich aus dem harten Griff zu befreien, doch der Marquess schlug immer weiter auf ihn ein. Sein Zorn war maßlos, und er hörte erst auf, als Gillis bewusstlos am Boden lag.
Erst dann sah er zu Grace hinüber, die auf dem kahlen Holz- boden zusammengesackt war, und sein Herz stockte für einen Moment. Als er zu ihr eilte, sah er sie im Geiste immer noch vor sich, wie sie den Besen wie einen Säbel geschwungen und wie eine Löwin um ihren Sohn gekämpft hatte.
Von Anfang an hatte er sie geliebt, aber bis zu diesem Mo- ment war ihm nicht bewusst gewesen, wie groß seine Liebe tatsächlich war. Im nächsten Moment fiel sein Blick auf seinen kleinen Sohn, dessen Gesicht ganz blaugefroren war und der vor Hunger laut schrie. Andrew, der sonst immer so glücklich lächelte.
Auf einmal wusste er, dass sein Durst nach Rache gestillt war. Das Feuer seines Hasses war von der Liebe gelöscht wor- den, die er für seine Frau und seinen kleinen Sohn empfand. Vorsichtig kniete er sich neben Grace nieder und hoffte da- bei inständig, dass es ihr gut ging. Er hob sie behutsam hoch,
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