Martin, Kat - Perlen Serie
könnte. Selbst von
Jonas McPhee waren noch keine nennenswerten Hinweise ge kommen.
Ethan öffnete den Brief und begann, laut vorzulesen.
„Kommen Sie nach Freeborn Court, in der Nähe von Gray's Inn Lane. Hinterlegen Sie das Geld um Mitternacht am Anfang der Gasse, neben Mose's Gin Shop. Sie bekommen dann eine Nachricht, in der Sie erfahren, wo Sie das Kind finden können."
„Warum übergeben sie uns Andy nicht sofort?", fragte Rafe und sprach aus, was alle dachten.
„Himmel!" Ethan fuhr sich durch das Haar. „Wir können ih- nen nicht einfach das Geld geben!"
„Aber was bleibt uns anderes übrig?" Grace sprach so leise, dass ihre Worte kaum mehr als ein Flüstern waren.
Entschlossen streckte Ethan das Kinn vor. „Wir werden uns in der Gasse verstecken und der Person, die das Geld holt, fol- gen. Da wir immerhin zu dritt sind, wird es ihm schwer fallen, uns abzuhängen."
„Es ist wahrscheinlich", ergänzte Cord, „dass er in das Ver- steck zurückkehrt, um das Geld mit seinen Kumpanen zu tei- len. Und dort finden wir dann auch das Kind."
Die Zeit schien stillzustehen. Unruhig ging Grace auf und ab und blieb immer wieder am Fenster stehen. Doch draußen war alles finster und still.
„Es ist beinahe zehn Uhr", bemerkte Cord schließlich. „Wir sollten rechtzeitig dort sein, um die Gegend ein wenig auszu- kundschaften."
Grace ging zu ihrem Mann hinüber. „Ich möchte mit euch kommen."
Ethan fasste sie sanft bei den Schultern und schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich, Liebste. Dann müsste ich mich nur auch noch um dich sorgen."
„Wenn wir Andrew finden, wird er hungrig und völlig ver- ängstigt sein. Er braucht mich, Ethan!"
Er schien sich ihre Worte durch den Kopf gehen zu lassen. „Ich verstehe deine Sorge, nur ist es einfach zu gefährlich. Wenn Andrew wieder zu Hause ist, wird er dich brauchen - aber was ist, wenn dir heute Nacht etwas geschieht?"
„Bitte, Ethan."
Er küsste sie leicht auf die Wange. „Es tut mir Leid, Grace. Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen, aber wir müssen tun, was für Andrew das Beste ist."
„Es wird Zeit, dass wir gehen", bemerkte Cord. „Noch wissen wir nicht, was uns erwartet." Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, zog er eine Pistole aus seiner Jackentasche, prüfte die Munition und steckte die Waffe wieder weg. Dann ging er zu Victoria hinüber und küsste sie. „Wir sind so bald wie mög- lich zurück."
„Sei vorsichtig", sagte Tory und berührte seine Wange. „Ich werde unseren Sohn nach Hause bringen", versicherte Ethan derweil Grace.
Sie nickte. Ihr Hals war wie zugeschnürt, und ein Gefühl tie- fer Beklemmung überkam sie. „Pass auf dich auf."
Ethan küsste sie zärtlich. Wenige Minuten später brachen die Männer dann eilig auf, und Grace blieb mit Victoria zu- rück. „Entschuldige mich bitte, Tory. Aber ich gehe nach oben und werde mich umziehen."
Tory sah sie argwöhnisch an. „Umziehen? Du erwartest doch wohl kaum Gäste?"
„Musselin und Spitze erscheinen mir wenig geeignet für ei- nen Besuch bei Mose's Gin Shop."
Victorias Augen weiteten sich ungläubig. „Du hast gehört, was Ethan gesagt hat. Willst du, dass die Männer sich nun auch noch um dich ängstigen müssen?"
„Sie werden keine Angst um mich haben, weil sie nicht wis- sen, dass ich dort bin."
Nachdenklich musterte sie ihre Freundin. „Das stimmt auch wieder."
„Wie ich Ethan schon sagte, könnte Andrew mich brau- chen."
Tory seufzte und wusste, dass sie sich geschlagen geben musste. „Nun, ich wüsste zumindest, was ich täte, wenn es um meinen kleinen Jeremy ginge. Aber du kannst unmöglich allein gehen! Meinst du, deine Kammerzofe kann mir ein einfaches Kleid leihen?"
Grace umarmte ihre Freundin. „Das werde ich dir nie verges- sen, Tory."
„Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir nach dieser Nacht nie wieder daran denken müssten."
Die Kutsche wurde von James Dory, Grace' Kutscher, gelenkt. Er war ein großer, kräftiger Mann, der ihr Vertrauen gewonnen hatte. Je weiter sie nun in die verrufenen Stadtteile Londons vordrangen, desto größer war ihre Erleichterung, dass er bei ih- nen war. Die Straßen waren schon seit einer Weile nicht mehr gepflastert, und die Kutsche fuhr durch enge, schmutzige Gas- sen, die von heruntergekommenen Häusern gesäumt waren. Der Nachthimmel war wolkenverhangen und die Stadt in Fins- ternis gehüllt.
Nachdem die Kutsche um eine weitere Straßenecke gebogen und in Richtung Holborn gefahren war, kamen
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