Marx fuer Eilige
Lohn, das Gehalt. Die Differenz – der »Mehr wert « – wird vom Kapitalbesitzer angeeignet. Ohne ihn übers Ohr zu hauen, hat der Kapitalist mehr eingenommen, als er dem Arbeiter bezahlt. Marx rechnet diese Ableitung an unzähligen Beispielen durch, führt im Detail aus, was etwa geschieht, wenn wenige Arbeiter in kapitalintensiven Branchen arbeiten, wie sich eine gesellschaftliche Durchschnittsarbeitzeit als Wertquantum durchsetzt, wie durch Intensivierung der Arbeit das Verhältnis von jener Arbeit, die notwendig ist, um das Äquivalent des Arbeitslohnes zu produzieren, zur Mehrarbeit zum Vorteil des Unternehmers verschoben werden kann etc. pp. Diese Konkretionen sollen uns hier nicht weiter beschäftigen, ist |103| das Prinzip doch selbst umstritten: daß allein menschliche Arbeit wertschaffend ist und sich in letzter Instanz der Preis eines Produktes durch die investierte Arbeit bemißt.
Marx’ Gegner haben diese zentrale These seit 130 Jahren zum Anlaß genommen, das gesamte Gedankengebäude des »Kapital« in Frage zu stellen. Welche Rolle spielt in diesem Konzept der Dienstleistungssektor, welche Bedeutung ist den modernen Wissensarbeitern zugedacht, deren Talente, deren Eloquenz oder deren Fähigkeit, sich zu vermarkten, nicht unwesentlich den »Preis« ihrer »Arbeitskraft« bestimmt – Fragen wie diese prasselten unentwegt auf Marx’ Jünger ein, die sich ihrerseits alle Mühe dieser Welt gaben, jedes noch so abseitige Detail in die Theorie einzupassen. Erst jüngst hat der britische Ökonom und Keynes-Biograph Robert Skidelsky den Stab über Marx gebrochen, indem er proklamierte: »Die Hauptthese seiner Ökonomie, die Arbeitswerttheorie, ist zertrümmert und nicht renovierbar.« 90 Ohne Zweifel ist die Arbeitswertlehre, die Marx übrigens nicht selbst aufstellte, sondern mit nur leichten Variationen von dem großen britischen Ökonomen David Ricardo übernommen hatte, etwas grob zugehauen, und man merkt Marx an, wie er mit intellektueller Verve das Prinzip freizulegen versucht, so wie ein Chemiker ein Element isoliert, das er gerade zu entdecken sich anschickt. »Marx bewunderte«, schreibt Francis Wheen in seiner Biographie, »die objektive, unsentimentale Methodologie von Ricardo und Smith. Und in der Tat sind diejenigen Aspekte des
› Kapi
tals ‹ die heute am meisten verlacht werden, wie beispielsweise die Arbeitswerttheorie, von diesen klassischen Ökonomen hergeleitet und waren zu jener Zeit die vorherrschende |104| Meinung.« 91 Für einen anderen großen Ökonomen des 20. Jahrhunderts, für Joseph Schumpeter, war die Arbeitswertlehre zwar nicht falsch, aber doch nur eine »rohe Annäherung an die historischen Tendenzen der relativen Werte« 92 . Der Streit um die Arbeitswertlehre wurde heftig geführt und ist stark ideologisch eingefärbt, da – unabhängig von wissenschaftlicher Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit der Theorie – ja die Frage mitschwingt, ob nur die »Arbeiterklasse« den gesellschaftlichen Reichtum schafft oder der Bourgeoisie ein Teil der Ehre zukommt. Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen, doch wird die relative Brauchbarkeit der Lehre, daß im wesentlichen geronnene Arbeit den Preis eines Produkts bestimmt, auch von den Kapitalbesitzern immer wieder unter Beweis gestellt, wenn sie unter den Bedingungen der Globalisierung Fertigungsstätten aus Ländern mit hohem Lohnniveau in solche mit niedrigeren Arbeitskosten verlegen – nicht ohne den Hinweis, nur so könnten sie in der Weltmarkt-Konkurrenz bestehen. Die Preise sind eben nur bis zu einer gewissen Grenze flexibel, und wenn sie unter die Produktionskosten – und das sind in letzter Instanz Kosten für menschliche Arbeit – fallen, dann ist dem Unternehmen, das so verfahren muß, wohl keine große Zukunft mehr beschieden.
Eine These muß von Sonderfällen und Nebensächlichkeiten absehen, um universelle Brauchbarkeit zu erlangen. Das macht ihre Stärke wie ihre Schwäche aus. Zweifelsohne ist der Kapitalismus des »Kapital« eine Art »Labor«- Kapitalismus mit einen freien Markt, wie er in der Realität nicht existert. Marx gibt denn an mancher Stelle seines Werkes gerne zu, seine Analyse der Gesetze des Kapitalismus |105| bedinge »vorläufiges Wegsehn von allen Phänomenen, die das innere Spiel seines Mechanismus verstecken« (MEW 23, S. 590), und er räumt ein, die von ihm analysierten Prozesse werden bei ihrer »Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher
Weitere Kostenlose Bücher