Marx fuer Eilige
einige wesentliche Details von allen bisherigen |100| Gesellschaften. In ihr stehen sich die Subjekte als Freie gegenüber. Gesellschaften, in denen etwa Leibeigene für ihre Herren produzierten, haben es nicht zum verallgemeinerten Warenprinzip gebracht, auch wenn in ihnen Austausch und Geldwirtschaft existiert haben mögen. Doch hier hat etwa der Bauer noch einen fixen Teil seiner Produktion dem Herrn abgeliefert. Diese Produkte, die vom Untergebenen an den Herrn übergingen, waren mitnichten Waren, und das Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnis lag klar vor Augen. Allerdings: Die einfache Warenzirkulation, die auch in diesen Gesellschaften möglich war, rief das Kapital in seiner simplen, noch rohen Form ins Leben. Ja, es war sogar die kaufmännische Anhäufung von Reichtum möglich, entsprechend der Formel G-W-G’, gleichsam der Urformel des Kapitals: Geld; Ware; mehr Geld – ich kaufe eine Ware und verkaufe sie teurer weiter. »Die Warenzirkulation ist der Ausgangspunkt des Kapitals.« (MEW 23, S. 161) Schon hier sehen wir die Eigenart des Kapitals, wenn auch noch in unreifer Form: Es ist immer ein Prozeß. »Das Kapital ist kein einfaches Verhältnis, sondern ein
Prozeß
, in dessen verschiedenen Momenten es immer Kapital ist« 88 , formuliert Marx in den »Grundrissen« und fügt hinzu: »Geld hat als Kapital seine Starrheit verloren, und ist aus einem handgreiflichen Ding zu einem Prozeß geworden.« 89 Der Geldbesitzer als Kapitalist unterscheidet sich vom Schatzbildner dadurch, daß es ihm »wie dem Welteroberer« geht, »der mit jedem Land nur eine neue Grenze erobert«. (MEW 23, S. 147) Nun wird sich aber eine entwickelte kapitalistische Gesellschaft nicht damit begnügen können, die Kapitalanhäufung auf Übertölpelung und Übervorteilung |101| oder sonstige Formen der Handelsgewinne zu begründen. Wäre sie darauf angewiesen, daß es Kaufleuten gelingt, Waren teurer weiterzuverkaufen, als sie sie erstanden, wären ihr enge Grenzen gesteckt. Marx entdeckt nun, daß es eine Ware gibt, die mehr »Wert« zu schaffen vermag, als sie selbst »wert« ist: Und das ist die menschliche Arbeitskraft.
Zwei Freie treten sich in diesem ökonomischen Drama gegenüber: der Arbeiter und der Kapitalist. Keiner unterdrückt oder betrügt den anderen. Sie schließen einen Vertrag, wie es sich unter Freien geziemt. Der eine verkauft dem anderen seine Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit. Der andere hat das Recht, sie zu benützen. Die Arbeitskraft hat ihren Wert, ihren Preis: »den Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel« (MEW 23, S. 185). Hier wären eine Reihe von Einwänden fällig, darunter zwei wesentliche. Erstens: Auch zu Marxens Zeiten erhielten Arbeiter nicht immer nur soviel, daß sie sich gerade ein Brot, ein bißchen Wurst, eine Suppe und ein Dach über dem Kopf leisten konnten. Zweitens: Verschiedene Arbeiter verdienen unterschiedlich viel Geld, obwohl die Menge der Güter, die sie zum Überleben brauchen, relativ gleich ist. Doch die natürlichen Bedürfnisse, ergänzt Marx sofort, »sind verschieden je nach den klimatischen und andren natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes« und abhängig »von der Kulturstufe eines Landes«. So wie der Begriff des
Elends
immer ein höchst relativer ist, so enthält auch »die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element« (MEW 23, S. 185). Der Umstand, daß besser gebildete Arbeitskräfte mehr Salär erhalten als |102| schlechtere, kann ebensowenig verfangen, denn erstere verfügen über »eine Arbeitskraft, worin höhere Bildungskosten eingehen, deren Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen höheren Wert hat als die einfache Arbeitskraft« (MEW 23, S. 212).
Nun fährt Marx bei der Entwicklung seines berühmten »Wertgesetzes« fort: Die Arbeiter, die einen bestimmten Lohn erhalten, werden in Fabriken eingesetzt. Dort bearbeiten sie Güter – Rohstoffe, Vorprodukte –, die einen gewissen Wert haben (also: in ihnen enthaltene, sozusagen »geronnene« menschliche Arbeit), mit Hilfe von Maschinen, von denen wiederum ein Teil ihres Werts (also: in ihnen enthaltene, geronnene menschliche Arbeit) auf das Endprodukt übergeht. Der Wert der Vorprodukte und der Arbeitsmittel plus der Arbeitszeit, die die Arbeiter in sie investieren, macht den Wert des neuen Produktes aus. Der Wertzuwachs ist höher als der Gegenwert, den der Arbeiter zur Bestreitung seiner Lebenshaltungskosten erhält – als der
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