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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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Selbstlauf des Systems Ökonomie – also von den letztendlich sich selbst generierenden und perpetuierenden Mechanismen des kapitalistischen Wirtschaftsprozesses – auf globaler Grundlage nicht vorweggenommen in Marx’ knapper Notiz in den Grundrissen, »im Weltmarkt hat sich der Zusammenhang des Einzelnen mit Allen, |108| aber auch zugleich die Unabhängigkeit dieses Zusammenhangs von den Einzelnen« zu voller Höhe entwickelt? Marx schildert natürlich den Kapitalismus nicht nur in seinem Raffinement, seiner eigensinnigen Wucht. »Daß Widersprüche im Kapital enthalten sind, sind wir die letzten zu leugnen. Unser Zweck ist vielmehr sie völlig zu entwickeln«, formuliert er. 95 Mit dem Kapitalismus wird »die
Verrücktheit
« als »ein Moment der Ökonomie« eingeführt und für »das praktische Leben der Völker bestimmend«. 96 So begegnen wir im »Kapital« dem uns heute unter dem Titel
» Krise der Arbeit
« bestens bekannten Paradoxon, daß das auf Lohnarbeit basierende Produktionsverhältnis mittels Technisierung und Verwissenschaftlichung tendenziell Arbeit überflüssig macht, mit dem absurden Resultat freilich, daß die ungeheuren Potenzen zur Verkürzung der Arbeitszeit und zur Befreiung vom Trott, den die Automatisierung und die informationstechnologische Revolution der Produktion bietet, die Menschen nur um so mehr dem Terror der Lohnarbeit unterwirft, weil das Gerangel um die letzten verbliebenen Arbeitsplätze in den volltechnisierten Fertigungsstätten um so wilder wird: »Das gewaltigste Mittel zur Verkürzung der Arbeitszeit (schlägt) in das unfehlbarste Mittel um, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner Familie in disponible Arbeitszeit für die Verwertung des Kapitals zu verwandeln.« (MEW 23, S. 430) Kaum überschaubar ist das Ensemble einander widerstreitender Teilrationalitäten, die nicht nur die Gesellschaft, sondern die Subjekte selbst durchfurchen. Wie heute die Stahlwerker, die ihre Ersparnisse in Pensionsfonds anlegen, sich falsch verhalten, indem sie sich richtig verhalten, so erscheint, führt |109| Marx aus, jedem Kapitalisten die Gesamtmasse aller Arbeiter, »mit der Ausnahme seiner eignen Arbeiter … nicht als Arbeiter, sondern als Konsumenten« 97 . So »verlangt jeder Kapitalist zwar, daß seine Arbeiter sparen sollen, aber nur
seine
, weil sie ihm als Arbeiter gegenüberstehen; beileibe nicht die übrige
Welt der Arbeiter
, denn sie stehn ihm als Konsumenten gegenüber«. Daher versucht er alles, »sie zum Konsum anzuspornen, neue Reize seinen Waren zu geben, neue Bedürfnisse ihnen anzuschwatzen etc.« 98 Der Umstand, daß die Werte nicht nur produziert, sondern auch realisiert werden müssen, gebiert die große Paradoxie der Krise, die auf Überproduktion an Waren beruht, für die sich keine Käufer finden: Erst eine Gesellschaft, in der das Elend nicht den Mangel, sondern den Überfluß zur Ursache hat, muß den Widerspruch aushalten, Armut im größten Reichtum, schwarze Löcher im kommerziellen Glitzeruniversum immerfort zu produzieren. Daß die Produktion von Gütern nur begrenzt ist von der »Produktivkraft der Gesellschaft«, die Realisierung dieser Werte dagegen durch die »Konsumtionskraft der Gesellschaft«, hat Marx im dritten Band des »Kapital« ausgeführt. (MEW 25, S. 254) Dieser Widerspruch, der von den einzelnen Kapitalbesitzern selbst am Leben gehalten wird, indem sie die Konsumtionskraft
ihrer
Arbeiter versuchen so niedrig wie möglich zu halten, während sie gleichzeitig an einer maximalen Konsumtionskraft
aller
Arbeiter im höchsten Maße interessiert sind, ist für Marx die letzte Ursache der immer wiederkehrenden Krisen und Rezessionen, für jene »gewaltsamen Eruptionen, die das gestörte Gleichgewicht für den Augenblick wiederherstellen« (MEW 25, S. 259). Um der Krise zu entfliehen, |110| muß der Markt »daher beständig ausgedehnt werden«, jede Grenze ist nur eine Schranke, die es zu überwinden gilt, doch »die
wahre Schranke
der kapitalistischen Produktion ist
das Kapital selbst
« (MEW 25, S. 260). Jeder neue Aufschwung trägt die nächste Krise bereits in sich: »Die kapitalistische Produktion strebt beständig, diese ihr immanenten Schranken zu überwinden, aber sie überwindet sie nur durch Mittel, die ihr diese Schranken aufs neue und auf gewaltigerm Maßstab entgegenstellen.« (MEW 25, S. 260)

    Die kapitalistische Welt, in der wir leben, ist eine hochgradig seltsame – eine große Ordnung und eine
Große Unordnung
99 zugleich. Wir

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