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Marx fuer Eilige

Marx fuer Eilige

Titel: Marx fuer Eilige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Misik
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mehr |129| vorzustellen vermögen, jemand werde von anderen denn materiellen Motiven angetrieben, ist womöglich eine gute Illustration dafür, wie sehr unsere spontanen Weltdeutungen von der kapitalistischen Mentalität eingefärbt sind.

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    |130| Da es so ist, bleibt es nicht so Oder: Mit Marx denken lernen
    So wie auch ein blindes Huhn einmal ein Korn findet, so sitzen die grandiosesten Denker oft den grandiosesten Irrtümern auf. Dies mag mit der intellektuellen Radikalität zusammenhängen, die es braucht, um die alten Weisheiten und überkommenen Götzen vom Thron zu stürzen, die auch schonungslos sich selbst gegenüber ist – und sei es bloß jene Art von Schonungslosigkeit, die darin besteht, die Dynamik der eigenen Gedankenbewegung bis in die letzte Konsequenz vorwärtszutreiben. Radikale Denker sind beinahe definitionsgemäß von dem Prinzip getrieben: Besser groß irren, als auf kleinliche Weise recht behalten. Die Irrtümer im Œuvre von Marx sind von dieser Art.
    Marx war konsequent davon überzeugt, daß die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, über zwei Jahrhunderte »Entwicklungsformen der Produktivkräfte«, bald »in Fesseln derselben« (MEAW 2, S. 503) umschlagen würden. Und wie schon der Feudalismus würde auch die bourgeoise Hülle dann gesprengt werden. »Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. |131| Die Expropriateurs werden expropriiert«, prophezeit Marx in der berühmten Abschlußwendung des ersten Bandes des »Kapital« – »die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation« (MEAW 23, S. 791). Die kapitalistische Akkumulation und das Konkurrenzprinzip führen, analysierte Marx, zum Untergang kleinerer Kapitale und zur Zusammenballung größerer; die neuen Formen von Kapitalgesellschaften – etwa die Bildung großer Aktiengesellschaften – schaffen Konglomerate auf immer höherer Stufenleiter, bis schließlich immer mehr Monopole entstehen. Dieser Kapitalismus provoziert die Entwicklung der Produktivkräfte in immer kolossalerer Weise, wird sich aber an einem bestimmten Punkt zur Innovation unfähig erweisen. Er raffiniert die gesellschaftliche Arbeitsteilung, kombiniert immer kompliziertere Wirkungen von »kombinierter Arbeit«, wird aber zunehmend daran scheitern, die Chancen, die diese neue Produktionsorganisation bietet, zu nützen. Denn das Konkurrenzprinzip verträgt sich nicht mit der kooperativen Arbeit, und das kapitalistische Eigentumsverhältnis, das die allergrößte Mehrzahl der Menschen zu geistloser Lohnarbeit verdammt, vergibt die großen Möglichkeiten, die die Kreativität der Arbeiter potentiell bieten. Der Kapitalismus wird zur Fessel der Innovation.
    Dies ist von nahezu zwingender Logik – und erwies sich doch als unwahr. Heute, nachdem die kapitalistische Wirtschaftsform den Sprung von der industriellen Massenproduktion in das informationstechnologische Zeitalter geschafft hat, in der Epoche von Wissensarbeit, Computerisierung, mikroelektronisch gesteuerter Produktion, |132| von Gentech und Internet würde kaum jemand weiter voraussagen, der Kapitalismus würde unfähig zur Innovation. Ja, mehr als das: Dieser Kapitalismus erweist sich gar als fähig, alle Kreativität dieser Wissensarbeiter schonunglos auszubeuten und sogar deren rebellische Impulse, deren Widerborstigkeit sich als produktive Kräfte zu integrieren, und zwingt sie in das Netz kooperativer, eigenverantwortlicher Arbeit, das freilich vom Lohn-, Konkurrenz- und Wertprinzip eingefärbt bleibt. Daß dieser Kapitalismus an seiner Unfähigkeit, selbstverantwortliche Arbeit kooperativ zu organisieren, scheitern würde, wäre heute eine gewagte These: Erweisen sich nicht große Firmen, die Freiberufler der Ich-AGs und, beispielsweise, Software-Programmierer als durchaus routiniert, Arbeit zwischen New York, Ulm und Bangalore in Sekundenschnelle zu kombinieren, neu zusammenzusetzen und kreativ zu gestalten?
    Auch der Prozeß der Monopolbildung scheint heutzutage, trotz der Mega-Fusionen der vergangenen Jahre, als durchaus mehrdeutig: Monopole entstehen und vergehen, alte erweisen sich als schwerfällig, neugegründete Unternehmen fordern diese Monopole heraus, wachsen ihrerseits zu beeindruckender Größe und halten so das Konkurrenzprinzip

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