Marx, my Love
alles.«
Anna legt fünf Scheine auf die Theke. Sie beugt sich zu Fjodors Ohr und sieht bewundernd auf die Nahaufnahme des Dreifachkinns. »Die schenken wir dir. Aber nur, wenn du Joy bei dir aufnimmst.«
»Für immer? Bist du meschugge?«
»Schrei nicht so, Fjodor. Sprich leise und denk vorher nach. Nur für ein oder zwei Tage, das ist doch kein großer Aufwand. Und du darfst natürlich keinem etwas sagen. Weil Joy in Gefahr ist.«
»Solche Opern missfallen mir gewalttätig, Anna. Wenn zum Schluss alles gemetzelt wird, du weißt schon. Ich mag das nicht, wenn Sterbende singen.«
»Dir passiert gar nichts, Fjodor. Ich versprech es dir.« Das sagt sie so leicht. Aber an diesem Punkt des Geschehens ist sie keines ihrer Worte mehr sicher.
Fjodor schielt auf die Scheine, so wie Anna es einmal getan hat, als Rosi Stark in ihr Büro kam. Und streicht sie mit einer schnellen Bewegung ein und steckt sie in die Hosentasche. Der Duft des Geldes, und Anna wünscht sich, sie hätte nie daran gerochen. Das Finanzamt ist schuld. Wenn sie keine Steuern bezahlen müsste, könnte sie von ihrer Profession leben. Gerade so, aber es würde für ein bescheidenes Leben reichen. Sie ist nicht anspruchsvoll, wenn man von Getränken, Speisen und Schuhen absieht.
»Ich tue es für dich, Anna. Ein oder zwei Tage. Weißt du, was Nietzsche gesagt hat? Lebe gefährlich, hat er gesagt.«
»Ja und?«
»Er ist tot, Anna. Verstehe den Zusammenhang. Also gut: Ich tue es für dich, und du schuldest mir einen Gefallen. Die Emigrantenzeitung. Ich will ihren Exodus.«
Anna küsst ihn dankbar auf die Wange. »Versprochen, Fjodor, sobald diese Geschichte vorbei ist. Vorausgesetzt natürlich, dass ich etwas finde.«
»Sie sind alle Mörder«, ruft Fjodor, und die Matrix-Runde sieht auf Annas blutenden Zeh und versteht den Zusammenhang nicht. Freddy reicht ihr ein Pflaster über die Theke. »Du versaust den Laden. Und die Putzfrau hat wegen seelischer Grausamkeit gekündigt.«
Anna umhüllt ihren großen Zeh mit Pflaster. »Warum?«
»Ich habe ihr verboten, den Schnaps zu wässern. Sie ist eine heimliche Trinkerin, was ja noch ginge, wenn sie die Flaschen nicht mit Wasser auffallen würde. Als ich mich weigerte, die Anklage zurückzunehmen, hat sie mir den Mopp zwischen die Beine geworfen und ist mit diesen Worten abgegangen, die Schlampe.«
Fjodor erhebt anerkennend sein Glas. »Die Welt ist ein schlechter Haufen.«
Anna setzt ihren Fuß vorsichtig auf. »Ich wecke Joy jetzt auf, und du nimmst sie mit nach Hause. Sofort. Ich muss noch etwas erledigen und klingle dann bei dir. Lass sonst niemanden rein, Fjodor, verstehst du mich?«
»Und wenn es mein Agent ist?«
»Du hast keinen Agenten«, sagt Anna, während sie zur Tür humpelt. Sie umgeht die Scherbe und zieht sich am Geländer die Treppe hoch. Sibylle steht an der geöffneten Tür. Sie hat ihre Finger zum Siegeszeichen erhoben. »Er macht es, der Gute. Du kannst Lily gleich hinbringen, hier ist die Adresse. Aber nur für zwei Tage, dann muss Daniel zu irgendeinem Kongress in Hamburg.«
Zwei Tage, denkt Anna, und wir haben nur Zeit gewonnen, aber vielleicht findet sich bis dahin eine Lösung, irgendeine. Optimismus in ausweglosen Situationen war immer schon ihre Stärke. Nur wenn das Leben wie ein träger, schmutziger Fluss ist, schwimmt sie in Pessimismus und Selbstmitleid.
»Ich danke dir. Und Fjodor nimmt Joy auf- gegen ein paar Scheine. Wir müssen sie wecken.«
»Ich mache das, und du bringst Lily zu Daniel. Ich hab ihm kurz erklärt, was los ist, und er hat zumindest verstanden, dass man gefallene Engel nicht einfach ausliefern darf. Und pass auf dich auf, ja. Was ist mit deinem Zeh passiert?«
»Die seelische Grausamkeit hat eine Glasscherbe vor der Tür liegen lassen.«
Sibylle schnauft vor Wut auf. »Sie will mich verklagen, stell dir vor. Diese Stadt ist ein Asyl für Irre jeder Art. Ich sage nur eins: Italien.« Sie sieht sich in ihrer Wohnung um: »Wie gut, dass ich noch nicht ausgepackt habe.«
Anna ruft übers Telefon ein Taxi, während Sibylle am Bett steht und eine schöne Blonde eher unsanft an den Schultern rüttelt. Anna stopft den Zettel mit Daniels Adresse in ihre Handtasche und humpelt die Treppe hinunter. In Schuhen, die immer noch schmerzen, jetzt noch viel mehr.
»Wartet auf mich in der Wohnung!«, ruft sie Fjodor zu, der sich von Freddy gerade den ultimativen Zungenkuss erklären lässt. Anna kann nur hoffen, dass Fjodor ihn nicht an Joy erprobt. Aber
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