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Mary Poppins

Mary Poppins

Titel: Mary Poppins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela L. Travers
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Andy
    Miß Lark wohnte nebenan.
    Aber ehe ich fortfahre, muß ich euch erzählen, wie es nebenan aussah. Das Haus war hochherrschaftlich, bei weitem das stattlichste am Kirschbaumweg. Man wußte, sogar Admiral Boom beneidete Miß Lark um ihr wundervolles Haus, obwohl sein eigenes Schiffsschornsteine hatte statt der Kamine und vorn im Garten einen Flaggenmast. Immer wieder hörten die Bewohner der Straße ihn brummen, wenn er an Miß Larks vornehmem Haus vorbeispazierte: »Verdammt noch mal! Was will die nur mit einem solchen Haus?«
    Aber der eigentliche Grund zu Admiral Booms Neid lag darin, daß Miß Larks Haus zwei Eingänge hatte. Einen für Miß Larks Freunde und Verwandte und den anderen für die Lieferanten.
    Eines Tages machte der Bäcker den Fehler, durch den für die Freunde und Verwandten bestimmten Eingang hereinzukommen. Darüber war Miß Lark so erbost, daß sie überhaupt kein Brot mehr von ihm haben wollte.
    Aber zu guter Letzt mußte sie dem Bäcker wieder verzeihen, denn er war der einzige in der Nachbarschaft, der so flache Kipfel machte mit so knusprigen Zipfeln. Seitdem konnte sie ihn aber nicht mehr leiden, und deshalb zog er, wenn er kam, den Hut tief ins Gesicht, damit Miß Lark denken sollte, er sei jemand anderer. Aber das dachte sie nie.
    Jane und Michael merkten es immer, wenn Miß Lark im Garten war oder den Weg entlangkam, denn sie trug so viele Anhänger und Halsketten und Ohrringe, daß es wie ein Glockenspiel klimperte und klingelte. Jedesmal sagte sie das gleiche, wenn sie ihnen begegnete:
    »Guten Morgen!« (oder »guten Abend!«, wenn es nach dem Essen war). »Nun, wie geht es uns heute?«
    Jane und Michael wußten nie ganz sicher, ob sie sich erkundigte, wie es ihnen ging oder ihr und Andy.
    Daher antworteten sie nur: »Guten Abend!« (oder »guten Morgen!«, wenn es vor dem Essen war).
    Wo immer die Kinder auch waren, den lieben, langen Tag hörten sie Miß Lark mit lauter Stimme rufen:
    »Andy, wo bist du?« oder
    »Andy, du sollst doch nicht ohne Mantel hinaus!« oder
    »Andy, komm zu Mutter!«
    Und wer’s nicht besser wußte, hätte geglaubt, Andy sei ein kleiner Junge. Übrigens meinte Jane, Miß Lark bilde sich ein, Andy sei ein kleiner Junge. Aber das war er keineswegs. Er war ein Hund – ein kleiner, seidiger, flaumhaariger Hund, der wie ein Pelzmuff aussieht, solange er nicht kläfft. Sobald er das tut, merkt man natürlich, daß es ein Hund ist. Denn ein Pelzmuff macht niemals so einen fürchterlichen Krach.
    Nun, Andy führte ein sehr luxuriöses Leben, man hätte glauben können, er sei der Kalif von Bagdad in einer neuen Verkleidung. Er schlief auf einem seidenen Kissen in Miß Larks Zimmer. Zweimal in der Woche fuhr er im Auto zum Friseur zum Haarwaschen. Zu jeder Mahlzeit bekam er Sahne und manchmal sogar Austern. Und er besaß vier Mäntel mit Karos und Streifen in verschiedenen Farben. Andy bekam jeden Tag Sachen geschenkt, die andere Leute nur zum Geburtstag bekommen. Und wenn er Geburtstag hatte, brannten auf seinem Kuchen zwei Kerzen für jedes Jahr, und nicht nur eine.
    All das machte Andy in der Nachbarschaft höchst unbeliebt. Die Leute lachten laut, wenn sie ihn auf dem Weg zum Friseur aufrecht im Auto sitzen sahen, angetan mit seinem besten Mantel und einer Pelzdecke über den Füßen. Und an dem Tag, an dem Miß Lark ihm zwei Paar kleine Lederstiefelchen gekauft hatte, damit er bei jedem Wetter in den Park könne, lief vor dem Haus die Nachbarschaft der ganzen Straße zusammen, um zu sehn, wie er ausgeführt wurde, und alle lachten heimlich hinter der vorgehaltenen Hand.
    »Pff!« machte Michael, als sie ihn eines Tages wieder einmal durch den Zaun beobachteten, der Nummer 17 vom Nebenhaus trennte. »Pff, er ist ein Dummerjan!«
    »Woher weißt du das?« fragte Jane interessiert.
    »Ich weiß es, weil ich heute morgen hörte, wie Pappi ihn so genannt hat«, erwiderte Michael und lachte frech.
    »Er ist keineswegs ein Dummerjan, und damit basta!« sagte Mary Poppins.
    Und sie hatte recht, Andy war kein Dummerjan, wie ihr gleich merken werdet.
    Ihr dürft nicht glauben, daß er Miß Lark etwa nicht schätzte. Das nicht. Er hatte sie sogar auf seine Art gern. Wenn sie ihn für seinen Geschmack auch zu oft küßte, so konnte er doch einem Wesen nicht gram sein, das ihn seit seinen Babytagen sehr verwöhnte. Aber ohne Zweifel langweilte ihn dieses Leben bis zur Verzweiflung. Für ein schönes Stück rohes Fleisch statt der gewohnten Hühnerbrust oder des

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