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Mary Poppins

Mary Poppins

Titel: Mary Poppins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela L. Travers
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setzte sich auf. »So erzähl doch schon!«
    »Was ganz Komisches. Auf der Straße unten ist eine Kuh.« Michael rutschte auf der Fensterbank hin und her.
    »Eine Kuh? Eine richtige Kuh – hier mitten in der Stadt? Wie komisch! Mary Poppins«, rief Jane, »da auf der Straße unten ist eine Kuh, sagt Michael!«
    »Ja, und sie geht sehr langsam und streckt ihren Kopf über jedes Gartentor und schaut umher, als hätte sie etwas verloren.«
    »Wie gern möcht ich das sehen!« sagte Jane ganz traurig.
    »Schau her!« deutete Michael, als Mary Poppins jetzt ans Fenster trat. »Eine Kuh! Ist das nicht drollig?«
    Mary Poppins warf einen kurzen, scharfen Blick auf die Straße hinunter. Überrascht fuhr sie zurück.
    »Aber nein«, sagte sie und wandte sich nach Jane und Michael um. »Das ist gar nicht drollig. Ich kenne die Kuh. Sie war eine gute Freundin meiner Mutter, und ich wäre euch dankbar, wenn ihr höflich von ihr sprechen wolltet!« Sie strich ihre Schürze glatt und blickte die beiden streng an.
    »Kennst du sie schon lange?« fragte Michael artig. Er hoffte, wenn er ganz besonders nett war, noch etwas über die Kuh zu hören.
    »Schon vor ihrem Besuch beim König«, sagte Mary Poppins.
    »Und wann war das?« fragte Jane in sanft aufmunterndem Ton.
    Mary Poppins starrte ins Weite, die Augen auf etwas geheftet, was Jane und Michael nicht zu sehen vermochten. Sie hielten den Atem an und warteten.
    »Das ist schon lange her«, sagte Mary Poppins endlich, mit beschwörender Stimme wie ein Märchenerzähler. Und schon stockte sie, als versuchte sie, sich an Dinge zu erinnern, die vor langer, langer Zeit geschehen waren. Dann fuhr sie, während ihre Augen, ohne etwas zu sehen, vor sich hin blickten, träumerisch fort: »Die Rote Kuh – so wurde sie genannt. Sie besaß großen Einfluß und war sehr reich (behauptete meine Mutter). Sie lebte auf der besten Wiese ringsum – es war eine prächtige Wiese mit Butterblumen, so groß wie Untertassen, und Löwenzahn, der dort fast höher noch als Ginster wuchs. Die ganze Wiese leuchtete hellgelb und golden von all den Butterblumen und Löwenzahnblüten, deren Stengel stramm wie Soldaten im Gras standen. Wenn die Kuh so einen Soldatenkopf abrupfte, reckte sich an seiner Stelle ein anderer auf, in gleich grünem Rock und gleich gelber Mütze.
    Sie hatte schon immer hier gelebt – oft erzählte sie meiner Mutter, sie könne sich nicht erinnern, je woanders als auf dieser Wiese gelebt zu haben. Ihre Welt war von grünen Hecken und vom Himmel begrenzt – und sie ahnte nicht, was dahinter lag.
    Die Rote Kuh war sehr angesehen. Sie benahm sich stets wie eine vollendete Dame und wußte, was sich gehört. Für sie gab es nur Schwarz oder Weiß – Grau und Rosa kamen gar nicht in Frage. Die Menschen waren gut oder schlecht – dazwischen gab es nichts. Löwenzahn war entweder süß oder bitter – es gab keinen, der nur mittelmäßig schmeckte.
    Sie führte ein sehr tätiges Leben. Ihre Vormittage waren mit dem Unterricht ausgefüllt, den sie dem Roten Kalb, ihrer Tochter, erteilte, und nachmittags brachte sie dem kleinen Ding Benehmen und Muhen bei, kurz alles, was ein wirklich wohlerzogenes Kalb wissen mußte. Dann aßen sie zur Nacht, und die Rote Kuh lehrte das Rote Kalb, einen guten Grashalm von einem schlechten zu unterscheiden. Und wenn ihr Kind des Abends schlafen gegangen war, legte sie sich auf der Wiese in eine Ecke, käute wieder und hing ihren eigenen, stillen Gedanken nach.
    Ein Tag verging wie der andere. Ein Rotes Kalb wuchs auf und verließ sie, und ein anderes trat an seine Stelle. Und die Rote Kuh konnte annehmen, daß es immer so sein würde – wirklich, sie fühlte, sie konnte sich nichts Besseres wünschen, als ihr Leben so zu verbringen bis an ihr Ende.
    Aber als sie wieder einmal solchen Gedanken nachhing, war plötzlich das Abenteuer da. So hat sie es später meiner Mutter erzählt. Es überraschte sie eines Nachts, als auch die Sterne wie Butterblumen am Himmel standen und der Mond zwischen den Sternen wie eine riesengroße Gänseblume aussah. In dieser Nacht, das Rote Kalb schlief schon lange, stand die Rote Kuh mit einem Male auf und begann zu tanzen. Sie tanzte wild und schön und in vollkommenem Rhythmus, obwohl keine Musik da war, nach der sie hätte tanzen können. Zeitweilig war es eine Polka, zeitweilig ein Schottischer, und manchmal ein Tanz, den sie selber erfand. Dazwischen knickste sie, machte schwungvolle Verbeugungen und stieß mit dem Kopf

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